Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die kleine Schwester

Die kleine Schwester

Titel: Die kleine Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
Vom Netzwerk:
da und viele Leute, die Mr.
    Sheridan Ballou besuchen wollten.
    Einige davon waren gut aufgelegt und voller Hoffnung. Einige sahen aus, als seien sie schon seit Tagen dort. Ein kleines Mädchen in der Ecke schniefte in ihr Taschentuch.
    Niemand beachtete sie. Man zeigte mir verschiedene Profile von der besten Seite, bis die Anwesenden festgestellt hatten, daß ich niemanden kaufen wollte und dort nicht beschäftigt war.
    Eine Rothaarige, die gefährlich aussah, saß lässig an einem schicken Adam-Schreibtisch und sprach in ein blendendweißes Telefon. Ich ging zu ihr hin; sie applizierte mir ein paar kalte blaue Pillen in Gestalt ihrer Augen und heftete sie dann an das Deckensims, das rings um den Raum lief.
    »Nein«, sagte sie ins Telefon. »Nein, tut mir leid. Ich fürchte, es hat keinen Sinn. Viel zu beschäftigt.« Sie legte auf, hakte irgendwas auf einer Liste ab und schenkte mir noch einen ihrer stählernen Blicke.
    »Guten Morgen. Ich möchte Mr. Ballou besuchen«, sagte ich.
    Ich legte meine einfache Visitenkarte auf ihren Schreibtisch. Sie nahm sie an einer Ecke und belächelte sie heiter.
    »Heute?« erkundigte sie sich freundschaftlich. »Diese Woche?«
    »Wie lange dauert es denn gewöhnlich?«
    »Es hat schon sechs Monate gedauert«, sagte sie fröhlich. »Kann Ihnen sonst niemand helfen?«
    »Nein.«
    »Bedaure. Nichts zu machen. Kommen Sie mal wieder, ja? So ungefähr kurz vor Weihnachten.« Sie trug einen weißen Wollrock, eine tiefrote Seidenbluse und ein schwarzes Samtjäckchen mit kurzen Ärmeln. Ihr Haar war eine feurige Abendsonne.
    Sie trug ein goldenes Kettchen mit Topasen, Topas-Ohrringe und einen Topas-Schmuckring in Form eines Schildes. Ihre Fingernägel paßten genau zur Bluse. Sie sah aus, als brauchte sie ein paar Wochen zum Anziehen.
    »Ich muß ihn sehen«, sagte ich.
    Sie las erneut meine Karte. Sie lächelte wunderschön.
    »Das muß jeder«, sagte sie. »Also hören Sie, Mr. . . . Mr. Marlowe. Sehen Sie alle diese reizenden Leute an. jeder von ihnen sitzt hier, seit das Büro aufgemacht hat - vor zwei Stunden.«
    »Es ist wichtig.«
    »Zweifellos. Darf ich fragen, worum es geht?«
    »Ich möchte was Schmutziges verhökern.«
    Sie nahm eine Zigarette aus einer Kristallschale und zündete sie mit einem Kristallfeuerzeug an. »Verhökern? Sie meinen für Geld? In Hollywood?«
    »Vielleicht.«
    »Was ist es denn Schmutziges? Sie brauchen keine Angst zu haben, mich zu schockieren.«
    »Es ist etwas obszön, Miss ... Miss ... « - ich bog meinen Hals, um das Schild auf ihrem Schreibtisch zu lesen.
    »Helen Grady«, sagte sie. »Na ja, so eine kleine wohlerzogene Obszönität hat noch nie was geschadet, oder?«
    »Ich habe nicht gesagt >wohlerzogen<.«
    Sie lehnte sich vorsichtig zurück und blies mir Rauch ins Gesicht.
    »Also kurz: Erpressung.« Sie seufzte. »Mensch, verduften Sie mal schleunigst, bevor Ihnen ein paar fette Polypen in den Schoß fliegen!«
    Ich saß auf der Ecke ihres Schreibtisches, fing eine große Handvoll von ihrem Zigarettenrauch und blies ihn ihr ins Haar. Sie duckte sich verärgert. »Hauen Sie ab, Sie Flegel!« sagte sie mit einer Stimme, die zum Farbe-Abbeizen gereicht hätte.
    »Aber, aber! Was ist denn aus dem vornehmen Akzent geworden?«
    Ohne ihren Kopf zu drehen, sagte sie scharf: »Miss Vane.«
    Ein großes, schlankes, elegantes Mädchen mit hochmütigen Augenbrauen blickte auf.
    Sie war gerade durch eine Innentür getreten, die täuschend wie ein buntes Glasfenster aussah. Das dunkle Mädchen kam herüber. Miss Grady gab ihr meine Karte: »Spink.«
    Miss Vane ging mit der Karte durch das bunte Fenster nach innen.
    »Setzen Sie sich und schonen Sie Ihre Knöchel, Großmaul«, teilte mir Miss Grady mit.
    »Vielleicht werden Sie eine Woche hierbleiben.«
    Ich setzte mich in einen Ohrensessel aus Chintz, dessen Rückenlehne meinen Kopf UM
    20 CM überragte. Ich kam mir vor wie eingelaufen. Miss Grady schenkte mir wieder ihr Lächeln, die Marke mit den handpolierten Kanten, und bog sich wieder zu ihrem Telefon.
    Ich sah mich um. Das kleine Mädchen in der Ecke hatte aufgehört zu weinen und schminkte sein Gesicht mit kühler Gleichgültigkeit. Ein sehr großer, vornehm aussehender Typ holte schwungvoll einen graziösen Arm heran, um auf seine elegante Armbanduhr zu blicken, und erhob sich in. weibischer Manier. Er setzte einen perlgrauen Homburg dandyhaft schräg auf seinen Kopf, überprüfte seine gelben Wildlederhandschuhe und seinen Stock mit Silberknopf

Weitere Kostenlose Bücher