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Die kleine Schwester

Die kleine Schwester

Titel: Die kleine Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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und schlenderte gemächlich hinüber zu der rothaarigen Empfangsdame.
    »Ich warte jetzt schon zwei Stunden, um Mr. Ballou aufzusuchen«, sagte er eisig mit einer vollen, süßen Stimme, die durch sehr viel Übung so hingetrimmt worden war. »Ich bin es nicht gewöhnt, daß irgend jemand mich zwei Stunden warten läßt.«
    »Tut mir sehr leid, Mr. Fortescue. Mr. Ballou ist heute morgen einfach unbeschreiblich beschäftigt.«
    »Es tut mir leid, daß ich ihm keinen Scheck hierlassen kann«, bemerkte der große, elegante Typ mit müder Verachtung. »Wahrscheinlich das einzige, was ihn interessieren könnte. jedoch, nachdem dies ... «
    »Moment mal, mein Junge.« Der Rotkopf nahm ein Telefon hoch und sagte: »ja ... hat Goldwyn das gesagt? Kannst du keinen erreichen, der nicht spinnt? ... Also, versuch's noch mal.« Sie schmiß den Hörer in die Gabel. Der große Typ hatte sich nicht bewegt.
    »Nachdem das jedoch nicht möglich ist«, sprach er weiter, als hätte er nie aufgehört,
    »möchte ich ihm gerne eine Nachricht hinterlassen.«
    »Bitte, tun Sie das«, sagte Miss Grady zu ihm. »Irgendwie werd ich's schon machen, daß er sie kriegt.«
    »Dann richten Sie ihm bitte liebe Grüße aus, und daß er ein dreckiges Borstenvieh ist.«
    »Sag lieber Schwein, mein Schatz«, sagte sie. »Er versteht kein Englisch.«
    »Dann sagen Sie Schwein und noch mal Schwein«, sagte Fortescue zu ihr, »und fügen Sie noch ein bißchen leicht geschwefelten Wasserstoff und die allerbilligste Marke Hurenparfüm dazu.« Er setzte seinen Hut zurecht und prüfte sein Profil noch einmal im Spiegel. »Und nun wünsche ich Ihnen einen angenehmen Morgen und zum Teufel mit Sheridan Ballou & Co.«
    Der große, schlanke Schauspieler schritt vornehm hinaus und benutzte seinen Stock, um die Tür zu öffnen.
    »Was ist denn los mit ihm?« fragte ich.
    Sie betrachtete mich mitleidig. »Billy Fortescue? Nichts ist los mit ihm. Er kriegt keine Rolle, also kommt er jeden Tag herein und zieht diese Schau ab. Er meint, daß ihn vielleicht jemand dabei sieht und es ihm gefällt.«
    Langsam machte ich den Mund zu. Man kann eine ganze Weile in Hollywood leben und doch nie eine Szene sehen, die brauchbar für einen Film ist.
    Miss Vane erschien in der Tür nach innen und winkte mir mit dem Kinn. Ich ging an ihr vorbei. »Hier entlang, zweite rechts.« Sie beobachtete mich, während ich den Gang entlang zu der zweiten Tür ging, die offen war. Ich ging hinein und machte die Tür zu.
    Ein dicklicher, weißhaariger Jude saß am Schreibtisch und lächelte mir zärtlich zu.
    »Gott zum Gruß«, sagte er. »Ich bin Moss Spink. Was haben wir für Sorgen, mein junge? Nehmen Sie mal den Parkplatz hier. Zigarette?« Er öffnete etwas, das wie eine Truhe aussah, und wollte mich mit einer Zigarette beglücken, die kaum länger als dreißig Zentimeter war. Sie steckte in einem extra Glasröhrchen.
    » Besten Dank«, sagte ich. »Tabak rauch ich nicht.«
    Er seufzte. »Na schön. Ihr Spiel. Also woll'n wir mal sehn. Sie heißen Marlowe. Wie?
    Marlowe. Marlowe. Ich hab noch nie von einem Marlowe gehört.«
    »Kann sein«, sagte ich. »Ich. habe auch noch nie von einem Spink gehört. Ich wollte einen Herrn namens Ballou besuchen. Klingt das wie Spink? Ich suche niemand, der Spink heißt. Und ganz unter vier Augen: Leute, die Spink heißen, können mir gestohlen bleiben.«
    »Antisemit, was?« sagte Spink. Er winkte großzügig mit der Hand, an der ein kanariengelber Diamant hing, wie eine Verkehrsampel auf Gelb. »Jetzt haben Sie sich mal nicht so. Setzen Sie sich und stauben Ihr Hirn ab. Sie kennen mich nicht. Sie wollen mich nicht kennen. In Ordnung. Ich bin nicht beleidigt. In diesem Geschäft braucht man immer jemanden, der nicht so leicht beleidigt ist.«
    »Ballou«, sagte ich.
    »Jetzt seien Sie mal vernünftig, mein Freund. Sherry Ballou ist jemand, der sehr viel zu tun hat. Er arbeitet zwanzig Stunden am Tag, und danach ist immer noch was auf dem Terminkalender. Setzen Sie sich hin und reden Sie mit dem kleinen Spink.«
    »Was machen Sie denn hier?« fragte ich ihn.
    » Ich bin sein Schutz, mein Freund. Ich muß ihn abschirmen. Jemand wie Sherry kann schließlich nicht jeden empfangen. Ich empfange manche Leute für ihn. Ich bin genau wie er - natürlich mit gewissen Grenzen.«
    »Vielleicht bin ich auf der anderen Seite der Grenze«, sagte ich.
    Spink stimmte mir freundlich zu. »Vielleicht.« Er zog ein dickes Klebeband von einem einzelnen Zigarrenbehälter aus

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