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Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition)

Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition)

Titel: Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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dem Briefpapier nicht anvertrauen. Kryptisch schreibt er später an Sybil von Elviras Entourage , die ihr die Seele vergiftet habe.
    Elvira verdächtigt ihn dabei – ironischerweise – ganz zu Recht, vor Ort eine Affäre zu pflegen. Sie hat nur eben die falsche Person im Verdacht. Von Puccinis Beziehung zu der damals neunzehnjährigen Giulia Manfredi weiß außer den direkt daran Beteiligten zu diesem Zeitpunkt noch kaum jemand etwas, auch Giulias Cousine Doria nicht. Giacomo ist vorsichtig geworden, hintergeht Elvira quasi vor ihrer Haustür und darf nicht das Geringste riskieren.
    Giulia – die wenigen Beschreibungen schildern sie als mit der Taille einer Amphore gesegnet, mit kunstvoll zu zwei Ringen geflochtenem, dunkelblondem Haar und warmen braunen Augen, sonst (die recht derbe Nase ist schuld) keine Schönheit, aber frech, von bodenständigem Witz, und Giacomo bis zur Ergebenheit willig, ohne daraus je ein Thema zu machen. Unter der Dorfjugend ist sie, aber keiner weiß genau, weswegen, als Luder verrufen, das gerne mal zu Schweinereien aufgelegt sei – dies wird nur hinter der Hand geäußert, zumeist von jungen Burschen, die es erfolglos bei ihr probiert haben. Ihr eilt ein Ruf als Schlampe voraus, allerdings der Sorte Schlampe, von der die Männer mit einem gewissen Respekt sprechen und in leicht sehnsuchtsvollem Ton.
     Giulia, die ab und an als Schankwirtin in der Kneipe ihres Vaters Emilio aushilft, ist wenig gebildet, aber keineswegs dumm. Sie zeigt sich verläßlich, verschwiegen und bereit, sich mit einem Schattendasein ohne nennenswerte Privilegien abzufinden. Es handelt sich um eine vorrangig sexuell geprägte Beziehung, mit stetig wachsender Vertrautheit zwar, doch ganz ohne das blumige Vokabular einer romantischen Liebe. Im Gegensatz zur keuschen Cousine, der in sich verkrochenen Spätentwicklerin Doria, die sich insgeheim schon längst nicht mehr für einen der interessierten Verehrer aus dem Dorf verschwenden will, die, von sexuellen Beschmutzungsängsten geplagt, ihre Unschuld aus Idealismus bewahrt, dabei in stiller Andacht ihren vergöttlichten Maestro wie einen zweiten Christus verehrt, sucht man bei Giulia vergebens nach schwärmerischen oder melodramatischen Schüben. Ein schlichtes, kräftiges Gemüt, das erstens weiß, was es selber will, zweitens, was der Mann Giacomo will, drittens, was es von ihm haben kann, ohne von vornherein verlorene Kriege vom Zaun zu brechen. Und wenn ein Malheur passiert, wie neulich, als Giacomo sie in der Jagdhütte auf die Schnelle nahm, ohne rechtzeitig zurückzuziehen, hat sie, als ihre Periode ausbleibt, kein Problem damit, zur Adresse zu gehen, die Giacomo ihr auf einen Zettel schreibt. (ANM. 2)

3
    Während sich in Torre del Lago der häusliche Himmel zusehends verdüstert, hat Antonio in Mittweida jegliches Selbstvertrauen verloren, läßt sich treiben, erscheint immer seltener zum Unterricht. Völlig überfordert, bleibt er wie gelähmt in seinem Bett liegen, wenn er zu einer Prüfung erscheinen soll. Schließlich sieht Antonio selbst ein, daß er in eine aussichtslose Lage geraten ist. Der Mutter gesteht er sein Versagen, ohne dafür Vorwände oder Entschuldigungen zu bemühen.
    Elvira versucht das traurige Ergebnis des Technikstudiums ihres Sohnes gegenüber ihrem Mann geheimzuhalten, indem sie einen Brief des Technikums an die Mailänder Adresse ihrer Tochter erbittet.
    ELVIRA PUCCINI, MAILAND,
AN DAS TECHNIKUM MITTWEIDA
Mailand, den 27. Sept. 08
    Sehr geehrter Herr Kessler!
    Mit großem Bedauern vernehme ich soeben, daß mein Sohn an meine Tochter folgenden Brief schrieb:
    »Sage meinem Vater, daß ich mich entschlossen habe, meine Studien aufzugeben; die Ursache ist folgende. Ich kann nämlich das mir bevorstehende Examen gar nicht mitmachen, weil mir schon im voraus gesagt wurde, daß ich demselben nicht gewachsen bin. So weiterzumachen wäre ganz unnütz, da ich in der Mathematik sehr schwach bin, was ja für unseren Beruf, den ich wählen sollte, die Hauptsache ist.
    Es ist also sehr dumm, mich weiter studieren zu lassen, um damit nur Zeit u. Geld zu vergeuden. Also, wie schon gesagt, ist es mein fester Entschluß, nicht mehr weiterstudieren u. dagegen mich anderweitig beschäftigen zu wollen.« –
    Sie werden verstehen, wie ich über diese Nachricht außer mir bin. Schon seit mehreren Jahren besucht mein Sohn Ihre Schule, und nie hat er derartige Dinge von sich hören lassen.
    Als er das letzte Mal in den Ferien hier war, erzählte

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