Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition)
welchen Repressalien Doria unterworfen ist. Deren eigene Familie hält sie für irgendwie schuldig.
Nach einem besonders schweren Streit mit Elvira, er schreibt an Sybil (Brief vom 6. Oktober 1908 ), er könne nur noch schlafen, wenn er Veronal nehme, habe oft zärtlich seinen Revolver gestreichelt, mit dem Selbstmord geliebäugelt, darüber hinaus habe Tonio angekündigt, daß er sein Studium hinschmeißen wolle – und so viele Menschen, darunter sie, Sybil, würden ihn den glücklichsten Menschen auf Erden nennen – wählt Giacomo den üblichen Ausweg, die Flucht nach Paris. Er wolle nur ein paar Tage bleiben, schreibt er, bevor er in »jene Hölle« zurückkehren müsse.
Doria läßt er schutzlos zurück, in der Hoffnung, alles würde sich durch seine bloße Abwesenheit beruhigen. Was es nicht tut.
Doria bleibt den Angriffen Elviras ausgesetzt. Bald beschuldigt Elvira die junge Frau gar, ein mit Giacomo gezeugtes Kind abgetrieben zu haben. Irgendwer, der noch mehr Unheil stiften wollte, hat ihr – angeblich – eine anonyme Postkarte geschickt, die ebenjene Behauptung enthält.
Doria weiß nicht weiter, auch ihr etwas dümmlicher Bruder Dolfino gibt ihr keinerlei Rückhalt, bestürmt sie, endlich mit der Wahrheit herauszurücken. Er, der zu diesem Zeitpunkt Achtzehnjährige, produziert sich, schwingt sich bigott zum Beschützer wie zum Ankläger seiner Schwester auf.
Erst Mitte Oktober scheinen sich die Gemüter wieder ein wenig abzukühlen.
Elvira, die die Metropole Paris so sehr liebt, telegrafiert am 12. Oktober an Giacomo, sie möchte gerne zu ihm stoßen. Es handelt sich um ein Versöhnungsangebot, quasi ein Tauschgeschäft. Er aber schreibt, tief gekränkt, zurück, sie solle es vergessen, er habe genug von ihr, wolle sie nicht sehen. Neues Öl wird ins Feuer gegossen. Derart schroff abgelehnt, fährt Elvira in ihrem Treiben fort, ihre Zurücksetzung mündet in neuen Attacken gegen Doria, die sie auf den wenigen Straßen Torre del Lagos gezielt abpaßt und beleidigt, zu diesem Zeitpunkt aber, wenn man so sagen darf, noch ›relativ moderat‹ mit geflüsterten, halb gezischten Schimpfworten. Was inzwischen schon fast manisch wirkt. So, als könne sich ein gelassener Charakter damit abfinden. Die empfindsame Doria kann es leider nicht.
Giacomo sieht sich veranlaßt, ihr mehrere Trostbriefe zu schreiben.
GP an Doria, 26. Oktober 1908
Ich schreibe Dir nach Hause. Es ist mir gleich, ob Deine Mutter davon erfährt. Ich weiß, daß mein Gewissen, soweit es Dich betrifft, rein ist, und ich bin verzweifelt darüber, daß man Dich so beschimpft und verleumdet. Ich erkläre öffentlich, daß ich Dich gern habe, weil du Dich in meinem Haus immer gut betragen hast. Niemand kann Dir etwas Böses nachsagen. Wer es aber tut, lügt und begeht die größte Ungerechtigkeit.
Er rät ihr, sie solle jede Auseinandersetzung vermeiden und so selten wie möglich das Haus verlassen. Was Giacomo nicht ahnt, ist, daß Doria es in ihrem Elternhaus längst ebensowenig aushält wie auf offener Straße. Durch den Wegfall ihres Lohnes geht es der Familie Manfredi finanziell schlecht, alle sind frustriert. Dolfino stößt Drohungen gegen den Maestro aus, weil dieser die Ehre seiner Schwester beschmutzt habe – verbunden mit Drohungen gegen Elvira. Entweder müsse der Maestro wegen der Verführung Dorias büßen oder Elvira wegen ihrer Verleumdungen. In jedem Fall sieht sich Dolfino als der Mann im Haus, als Capo della famiglia . Der einzige, der den jungen Hitzkopf zu beruhigen versucht, ist Emilio Manfredi, der Onkel Dorias, der Vater Giulias. Ein alter Jagdkumpan Giacomos, in dessen Haus sich der Club La Bohème oft getroffen hat.
Emilio schlägt Elvira eine Unterredung vor, die aber zu nichts führt. Erneut beschuldigt sie Doria, heimlich in Viareggio ein Kind abgetrieben zu haben, sie habe davon von einem Freund des Engelmachers erfahren, der habe gesagt, daß das Mädchen Manfredi hieß, jener Freund habe diesen Namen persönlich gehört und auch, daß Puccini dafür bezahlt habe.
Von Emilio nach anderen Namen gefragt, dem des Engelmachers, dem des Denunzianten, kann Elvira nur antworten, es sei eine anonyme Beschuldigung gewesen. Aber sie erzählt noch einmal von wilden Champagnerorgien , die Doria und Giacomo in ihrem Haus gefeiert hätten, und von fünfzig Lire Deflorationshonorar .
Emilio weiß danach nicht recht, was er noch glauben soll, er könne das alles der schlicht geratenen Doria so wenig zutrauen,
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