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Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition)

Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition)

Titel: Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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er sogar, daß er einige Prüfungen ganz gut bestanden habe. –
    Worin besteht denn nun eigentlich die Wahrheit? Wollen Sie mir bitte diesbezüglich wahrheitsgetreu Aufschluß geben, bevor ich meinem Mann, der bis jetzt von der Sache nichts weiß, davon erzähle. –
    Wollen Sie bitte meinem Sohn nichts von diesem Brief anmerken lassen. Nochmals bitte ich Sie um eine postwendende Rückantwort, womöglich in französischer Sprache. –
    Ich hoffe, daß sich das Unglück noch verbessern läßt.
    Mit den besten Grüßen
    zeichnet Elvira Puccini
     
    Bitte die Rückantwort an folgende Adresse zu senden:
    Elvira Puccini, p. Adr. Sig. Salv. Leonardi, Via Moroni 3 – Milano.
    TECHNIKUM MITTWEIDA AN ELVIRA PUCCINI, MAILAND
(Durchschrift), 2. Oktober 1908
    Frau Elvira Puccini, Mailand
    Ihr an Herrn Keßler gerichtetes gefl. Schreiben vom 27. September ist uns zur Beantwortung übergeben worden. Wir teilen Ihnen daraufhin mit, daß Ihr Sohn immer sehr unfleißig gewesen ist und die Vorlesungen sehr unregelmäßig besucht hat. Demzufolge dürfte es ihm schwer geworden sein, dem Unterricht zu folgen, und er wird nun überhaupt die Lust am Studium verloren haben. Dies halten wir für den Grund, weshalb er den betr. Brief an seine Schwester gerichtet hat.
    Hochachtungsvoll
    Die Direktion.
    Prof. Killmann
    Stellvertr. Direktor.
    Kurz danach weiß aber auch der Vater Bescheid, als ihm das Zeugnis seines Sohnes zugeschickt wird.
    TECHNIKUM MITTWEIDA AN GIACOMO PUCCINI, MAILAND
(maschinenschriftliche Durchschrift), 17.10.08
    Herrn
    Giacomo Puccini,
    Milano (Italien)
    Wie Sie aus dem beiliegenden Zeugnis Ihres Sohnes Antonio ersehen, hat er das Ziel der zuletzt besuchten Abteilung nicht erreicht, und wir raten Ihnen deshalb, ihn die nämliche Abteilung nochmals besuchen zu lassen.
    Ihre Zustimmung hierzu wollen Sie uns baldigst mitteilen.
    Sollten Sie mit unserem Rat nicht einverstanden sein, so wollen wir dem Aufrücken in die nächsthöhere Abteilung zwar kein Hindernis in den Weg legen, doch können wir dann eine Verantwortung für den evtl. Mißerfolg seines Studiums nicht übernehmen.
    Hochachtungsvoll
    Die Direktion.
    Die Schule zeigt wenig Interesse daran, ihren namhaftesten Studenten zu verlieren, baut goldene Brücken, weit über die reine Kulanz hinaus. Es nutzt nichts. Antonios formell endgültiges Ausscheiden aus dem Technikum ist dort am 6. November 1908 festgehalten.
    Giacomo hält die Sache für noch nicht ganz verloren, im Gegenteil, er meint, es habe wohl nur an der so schwierigen deutschen Sprache gelegen, noch hält er es für selbstverständlich, daß Antonio sein Studium bald fortsetzen wird, an einem geeigneteren Institut, vielleicht in Italien oder Frankreich.
    Zu Hause in Torre del Lago gerät Tonio, martialisch gesprochen, zwischen die Fronten. Die Krise seiner Eltern wächst sich zu einem Kleinkrieg aus, beide Parteien wollen den Sohn auf ihre Seite ziehen. Tonio hält zur Mutter, schon weil die ihn stets nachsichtiger behandelt hat. Ob da etwas sein mag mit seinem Vater und Doria – das will er nicht beurteilen. Gut möglich. Tonio leidet unter Depressionen und fehlendem Selbstwertgefühl, er entschließt sich bald dazu, alleine, ohne Bedienung, in der Mailänder Wohnung zu leben. Ein gutes Sprungbrett für schnelle Ausflüge nach Deutschland, zu den Freunden, die er dort hat.

4
    Im Herbst 1908 darf Giulia, sogar mit offizieller Erlaubnis Elviras, der kränklichen Doria zur Hand gehen, wird Aushilfskraft im Haus Puccini, wodurch ihre zuvor eher lose Verbindung zum Hausherrn erst gefestigt wird. Giacomo findet Giulia zwar nützlich, was die Regulierung seines Hormonhaushalts betrifft, zu einem nicht unterschätzbaren Teil schläft er mit ihr jedoch auch, um sich auf seine Art gegen die Hölle zur Wehr zu setzen, die Elviras Eifersucht ihm bereitet. Er ist sich seiner völligen Unschuld bewußt, jedenfalls was die Vorwürfe in Richtung Doria betreffen, und fühlt sich stark genug, seiner Frau zu sagen, er lasse sich nicht von ihr terrorisieren, möchte Padrone sein im eigenen Haus.
    Immerhin respektiert er, auf gewisse Weise, Elviras Territorium. Mit Giulia trifft er sich in seiner Jagdhütte, in einem bebuschten Winkel des riesigen Gartens oder fährt mit ihr in einem der Motorboote auf den See hinaus.
     Als stets verfügbare leibliche Tröstung wie Zuflucht, bei der sich Giacomo unverstellt rustikal geben, alle mondänen Zwänge beiseite legen kann, ist Giulia für ihn schnell unverzichtbar

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