Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition)
geworden. Ihr erzählt er von all seinen Problemen und Triumphen, auch von amourösen Eroberungen, er kann vor ihr angeben, seine Beute nachträglich wie mit einer Komplizin teilen. Den Preis, den Giulia für ihre Loyalität zahlen muß, nämlich von der Historie beinahe übersehen zu werden, zahlt sie, ohne darüber groß nachzudenken. Die Bedeutung ihrer Rolle in Puccinis Leben wird erst viereinhalb Jahrzehnte nach dessen Tod allmählich deutlich werden – und selbst dann zieht sie es vor, die Wahrheit allenfalls anzudeuten. In einem Interview (in OGGI 16. September 1969) gefragt, ob sie denn eine tiefergehende Beziehung zu GP gehabt habe, antwortet sie schmunzelnd nur: »Das will ich meinen.« Und weiter äußert sie sich nicht zum Thema, bis sie 1976 stirbt, im Alter von 87 Jahren.
Elvira hingegen erfährt – zu einem höchst ungünstigen Zeitpunkt – durch die Indiskretion eines Puccini-Intimus (sie erwähnt dessen Namen nicht, wahrscheinlich der übliche Verdächtige, Alfredo Caselli), daß die verhaßte Turinerin, genannt Corinna, acht Jahre zuvor heimlich zu Gast in ihrer Wohnung in Mailand und, viel schlimmer noch, in der Villa in Torre del Lago gewesen war. Es bringt sie auf die Palme, und obwohl die Eheleute einander versprochen hatten, diese doch längst bewältigte Episode nie mehr zu erwähnen, muß sie ihrer Wut Luft machen.
Es trifft Doria. Elvira jagt sie aber nicht, wie vielfach kolportiert wird, aus dem Haus. Sie läßt sie hart arbeiten, malträtiert die sensible Cameriere anfangs mit spitzen Bemerkungen, dann mit handfesten Vorwürfen. Dorias Gesundheitszustand verschlechtert sich mit jedem bösen Wort, und schließlich zieht sie es vor, das Haus zu verlassen, um sich bei ihrer Mutter auszukurieren. Elvira hält Dorias Krankheit für ein Symptom des schlechten Gewissens, und erst auf ihre Flucht hin nennt sie das Mädchen eine Hure, eine hinterhältige Person, eine Verbrecherin. Giacomo kann nicht recht fassen, was geschieht, und greift zum äußersten Mittel: Elvira mit Verachtung zu strafen.
Die wird dadurch noch wütender. Doria wiederum findet in ihrem Elternhaus wenig Solidarität. Der Respekt vor der Herrschaft dort ist so groß, daß Mutter Emilia die Partei Elviras ergreift und Doria befiehlt, die Wahrheit zu sagen. Das Mädchen schweigt und vergräbt sich in ihrem Zimmer. Sofort kommen wüste Gerüchte in Umlauf, fressen sich Nahrung an. Das Dorf nimmt Stellung, es bilden sich Parteien. Solche, die immer schon alles gewußt haben wollen, vielmehr nicht ertragen können, über etwas nicht Bescheid zu wissen, spotten über jene Ahnungslosen, die mit ihrer Meinungsbildung noch zögern.
Ein verarmter, schon betagter Adliger, der Conte Ottolini, der mit den Fischern am See lebt und dessen einzige erfüllende Beschäftigung zu sein scheint, Anekdoten, Legenden und Klatsch zu erzählen, kurz, sich wichtig zu machen, erzählt seinen Zuhörern beim abendlichen Kneipenwein mit der Detailfreude arabischer Märchenerzähler von Puccinis amourösen Tricks und Abenteuern. Undenkbar, so der Conte Ottolini, daß der Maestro irgendeinem Rock nicht nachjage, er schildert mit blühender Phantasie, wie sich GP vor Jahren mit der hübschen Schullehrerin aus Turin in einer entlegenen Waldhütte getroffen habe, während er offiziell auf der Jagd war und deswegen abends Elvira einen geschossenen Vogel mitbrachte, den ein befreundeter Jäger ihm jeweils bereitlegen mußte. Alles Käse, mehr oder minder. Aber man hört dem Conte gerne zu, er verpackt seine Geschichten mit hübschen Ornamenten und atemberaubenden Einzelheiten, erzählt sie süffig, wie eben erst geschehen, als Bericht eines halben Augenzeugen, er ist zudem ein Greis, und seine Stimme gerät schnell in jenen zahnarmen Singsang, der auf das Publikum gleichermaßen rührend wie vertrauenswürdig wirkt.
Elvira beschimpft ihren Gatten als Nichtsnutz, Ehebrecher, Schwein, und, viel schlimmer, sie redet, wen immer sie auf der Straße trifft, auf die Sache an, um ihr ehemaliges Hausmädchen als Hure, Drecksau und Miststück zu titulieren. Die Stimmung im Dorf ist lange gespalten, wendet sich dann gegen Doria. Irgendwas müsse an solch schweren Beschuldigungen doch dran sein.
Giacomo trifft sich zwei-, dreimal heimlich mit Doria, beschwört sie, souverän und gelassen zu reagieren und den ganzen Schmutz an sich abprallen zu lassen, Elvira werde sich wieder beruhigen. Er, von seiner weltmännischen Position aus, vermag sich nicht vorzustellen,
Weitere Kostenlose Bücher