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Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition)

Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition)

Titel: Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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die Kraft aufbringen wird, Elvira zu verlassen. Wenn er das wirklich gewollt hätte, wäre es in den letzten Monaten geschehen. Sie weiß, daß eine tief geliebte Frau nötig wäre, Giacomo einen solchen Kraftakt zu ermöglichen, um die Leere nach dem Umbruch zu überspielen. Diese Ersatzfrau könnte nur sie selbst sein, sie aber steht nicht zur Verfügung, ihr Leben ist bestimmt von David und den Söhnen, von denen der ältere bald lebenslang ihrer Pflege bedürfen wird. 1909 ist das letzte unbeschwerte Jahr in Sybils Leben, sie ahnt davon nichts, und ahnt doch, daß ihr geliebter Giacomo zu alt ist, um ganz von vorn zu beginnen. Also rät sie ihm, sich auf Elviras Seite zu schlagen, dorthin zu gehen, wo das Schicksal ihn nun einmal hinbestellt habe. So tragisch Dorias Tod auch gewesen sei, der Tod dürfe den Lebenden nicht im Weg stehen, dazu habe er kein Recht, die Zeit gehe schnell dahin. Und wenn es stimme, daß Elvira nicht die eigentlich Schuldige gewesen sei, habe er um so mehr die Verpflichtung, ihrer verwirrten Seele mit allen Mitteln zu helfen.
    Puccini hört sich das an und sieht ein, daß Sybils Gesicht, das dem von Elvira schon immer ein wenig geähnelt hat, in den letzten Jahren müde geworden ist, nicht länger in einem oberflächlichen Sinn schön genannt werden kann. Mit Staunen, beinahe ergriffen, nimmt er wahr, daß seine Zuneigung zu ihr darunter keineswegs leidet. Er hält das für ein Symptom innerer Reife wie auch für den Beweis, daß eine schöne Seele den Schwund an äußerlicher Attraktivität nicht fürchten muß. Sybil bestärkt ihn im Glauben an die Familie als obersten Wert, dem zuliebe man sich über alle Widrigkeiten hinwegzusetzen habe.
    Vielleicht, denkt er im Zug, ist das aber auch bereits der Vorhof zum Tod . Sich mit allem abzufinden, auch mit dem Verfall. Eine Art moralisch beweihräucherter Bequemlichkeit . Und vielleicht, denkt er, darf Sybil, die ja ebenfalls auf gewisse Weise Gefangene ihrer Familie ist, ihm keine anderen Ratschläge geben, will sie ihre eigene Situation nicht in Frage stellen.
    Ab dem 3. Juni hält GP sich in Paris auf (besucht fast jeden Abend ein Theater oder die Oper, das helfe, die Zeit schneller vorübergehen zu lassen), ab dem 9. Juni in Mailand, bevor er Mitte des Monats nach Torre zurückfährt.
    GP an Tonio, aus London, 24. Mai 1909
    Nachdem ich mich mit Deiner Mutter getroffen habe, wurde ich sehr traurig, weil ich sehe, daß sich ihr Verhalten mir gegenüber nicht geändert hat. Nichts Versöhnliches, immer dieselbe Heftigkeit, und vor allem keinerlei Neigung, zu erkennen, daß der Grund, der Hauptgrund für ihr und mein Unglück sie selbst
    ist … Glaub mir, lieber Tonio, die Zukunft sieht für uns düster aus. Ich habe wirklich die Absicht, zu ihr zurückzukehren, aber ich will mich nicht selbst demütigen … Was also tun? Ich weiß wirklich nicht, was ich Dir sagen soll. Alles hängt von ihr ab. Soweit es den Prozeß betrifft, wird ihre Idee, sich von einem Orator verteidigen zu lassen, nicht funktionieren. Sobald sie sich verteidigt, wird sie mich anklagen. Und welcher Abgrund wird sich dann zwischen uns auftun? Egal, ein Orator ist lächerlich. Wenn der Prozeß vor einer Jury stattfinden würde, hätte ich Verständnis. Aber vor einem Richtergremium machen geschliffene Reden wenig Sinn. Ich wiederhole, der beste Rat, den ich ihr geben kann, ist, zu sagen, daß sie das Mädchen schlecht behandelt hat, weil sie sich vom Anschein hat täuschen lassen, und daß sie das tragische Ende tief bedauert, weil sie nicht im entferntesten daran gedacht hat, daß so etwas passieren könne. Auch Burresi und Attalla und alle anderen geben ihr denselben Rat. Sag das Deiner Mutter, damit sie ein für allemal überzeugt ist …
    GP an Elvira, aus London, 2. Juni 1909
    Ich habe doch einen sehr anderen Brief von Dir erwartet. Habe gehofft, daß Du mir endlich schreiben würdest, daß Du froh bist, zu mir zurückzukehren, und daß Du einverstanden bist mit dem, was ich von Dir erbeten habe, ohne weitere Diskussion und ohne all meinen Vorschlägen zu widersprechen, Vorschläge, die richtig und einfühlsam und inspiriert von Wahrheit und Ehrgefühl sind. Statt dessen schlägst Du ein Treffen mit Zeugen auf neutralem Gebiet (der Schweiz!) vor usw. usw. Aber meine liebe Frau, mit all diesem Gerede und Getue werden wir nur dort weitermachen, wo wir schon zu Anfang waren. Schluß damit. Laß uns beide dies unter uns ausmachen, ohne Dritte hinzuzuziehen.
    GP an

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