Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition)
gewöhnt, als Abgrund bezeichnet zu werden, hebt seine Lautstärke um ein paar Grade.
Giacomo, bitte! Die Zeitungen tolerieren, daß Sie seit bald zwanzig Jahren mit einer verheirateten Frau zusammenleben. Und wenn, so wirft man es ihr vor, nicht Ihnen. Elvira war bereits Mutter, als sie ihrem Gatten davongelaufen ist, bei Nacht und Nebel, für Sie , lieber Giacomo. Ein Spießrutenlauf. Hier in Italien!
Das sei, wirft Puccini trotzig ein, schon wahr, aber auch sehr sehr lange her. Alle hätten es vergessen.
Ricordi betupft seine Schläfen mit Kölnisch Wasser und schüttelt langsam den Kopf.
Täuschen Sie sich bitte nicht! Vergessen ist es keineswegs. Man toleriert es, weil unser Land Helden braucht. Schöpferisch ringende Helden. Die sich manches erlauben dürfen, gewiß. Aber diese … obszöne, frühreife Person ist nicht tolerierbar. Wenn es wenigstens ein bißchen heimlicher zuginge. Aber nein, Sie schreiben, Giacomo, als würden Sie noch ein zielloser Jüngling sein, an verderbte, nicht vertrauenswürdige Spießgesellen niedere, vulgäre Preislieder auf den Geschlechtsverkehr, selbst Elvira bekommt es um drei Ecken mit. Diese bewundernswerte Frau hat Ihnen ihre besten Jahre geopfert, lebt ohne Trauschein, ohne Rechtsgrundlage, hat Angst, Ihnen nichts mehr zu bedeuten – Kurzum! Für derlei Eskapaden gehen Sie bitte nach Paris! ( Sein Zeigefinger streckt sich gen Westen .) Wandern Sie aus! Wenn Sie sich unbedingt zugrunde richten möchten!
Puccini wird jetzt richtig wütend. Was hat er da gehört? Pagni, der liebe Freund, eine Plaudertasche in jedwede Richtung? Das wird Konsequenzen haben! Tatsächlich hat der Strolch Pagni – ohne böse Absicht – das Preisliedchen Illica vorgelesen, der hat es – mündlich – an Giulio Ricordi weitergeleitet.
Jetzt passen Sie mal gut auf, Signor Giulio! Elvira ist die Mutter meines Sohnes. Wir sind eine Familie , und ich halte meine Familie heilig . Daran zweifelt niemand, der mich kennt. Verdammt! Und jetzt macht ihr alle ein Drama draus. Und das Wasser kocht im Arsch! Sie lassen mich beobachten. Setzen Verleumdungen in die Welt über eine liebende junge Frau, weil sie mir ein wenig Zärtlichkeit gibt. Verbünden sich hinter meinem Rücken mit Elvira. SO NICHT ! Das Haus Ricordi hat Millionen verdient mit meiner Musik. Das muß keineswegs so bleiben! Es gibt zum Glück noch andere Musikverleger in Italien! Sonzogno würde auf Knien von Mailand bis zu mir nach Hause rutschen!
Er stürmt, den Mantel auf der Schulter, ohne sich umzusehen, aus der Tür.
Ach, Giacomo … Lieber …
Giulio Ricordi stützt, nun ernsthaft besorgt, sein Kinn auf beide Daumen der wie zum Gebet gefalteten Hände. Der Geisteszustand seines besten Komponisten scheint angegriffen zu sein, präziser gesagt: schwer verwundet. Wenn er sogar schon Sonzogno erwähnt.
Im Grunde war das abzusehen. Längst schon abzusehen.
Zu den Symptomen der Hybris zählt nicht zuletzt der rücksichtslose Grabenkrieg, den Puccini mit seinen Librettisten Giacosa und Illica führt, die er tyrannisch zu immer neuen Änderungen zwingt, ohne ihre Einwände im mindesten ernstzunehmen. Wo immer ihm nichts einfällt, so lautet sein Credo, müsse an der Dramaturgie etwas nicht stimmen. Er hat sogar befohlen, die Akte zwei und drei der neuen Oper zu einem sehr langen zusammenzuziehen, was rundum auf heftigen Widerstand stieß. Unbelehrbar, für kein vernünftiges Argument der Experten offen, hatte sich Puccini durchgesetzt, dabei tausendmal die Gefühle seiner engsten, kompetentesten Mitarbeiter verletzt, sie zu Sklaven herabgewürdigt. Beide haben geschworen, künftig nie wieder mit dem Maestro zusammenzuarbeiten. Illica, der Prosaist, hat diesen Schwur bald gebrochen und sich mit Puccini neu arrangiert, recht fruchtbar sogar. Giacosa hingegen, dessen Aufgabe darin besteht, Illicas Prosa in gereimte Verse zu verwandeln, zieht es vor, noch immer beleidigt zu sein.
Tags darauf, in einem Gespräch mit Tito, gibt Giulio Ricordi sich zwar erneut zuversichtlich, die Butterfly möge noch irgendwie, irgendwann beendet werden, danach aber sei der Künstler Puccini am Ende, moralisch wie intellektuell. Er, als Verleger, habe getan, was er für seine menschliche und väterliche Pflicht gehalten habe, jetzt, jetzt könne wohl nur noch Gott selbst etwas für diesen Künstler tun. Dutzende Blutegel seien nun einmal nichts im Vergleich mit jenen Damen, die gewohnt seien, sich von abgezapfter Lebenskraft zu ernähren.
9
Caro
Weitere Kostenlose Bücher