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Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition)

Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition)

Titel: Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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zum Fenster hinaus.
    Was sieht er denn da? Ja, was sieht er denn da? Dolfino vollführt einen Purzelbaum und klatscht in die Hände, würgt ein Tischbein. Der aufgekratzte Dreizehnjährige lacht. Sein Kichern wird zum wilden Kreischen. Leerst du ihm auch die Bettpfanne?
    Doria sieht verschämt zu Boden. Die Mutter gibt dem Sohn eine Ohrfeige. Was für ekelhafte Fragen ihm einfallen würden! Darüber zu sprechen gehöre sich nicht.
    Doria hebt beide Hände vor ihre Augen. Dolfino sieht ein, er ist zu weit gegangen, sieht zu Boden, entschuldigt sich, er habe es gewiß nicht bös gemeint. Und schlingt die Arme um die Schwester, die ihm gleich vergibt, den Kopf tätschelt. Emilia schiebt fünf Lire über den Tisch, die dürfe Doria behalten. Es ist weit mehr, als sie erwartet hat.

19
    Tito genießt seine Herrschaft. Giulios Abwesenheit kommt einer temporären Machtübergabe gleich, die der Sohn sofort dazu benutzt, einige seiner Meinung nach vielsprechende junge Talente mit großzügig dotierten Verträgen ans Haus zu binden. Heute aber hocken auf der Besucherbank drei etwas schmierige Gestalten, die um Einlaß ins Chefzimmer bitten.
    Was das, wundert er sich, für Typen seien?
    Der Sekretär unterrichtet ihn im Flüsterton, es handele sich um die drei Führer der Mailänder Claques, die, einer langen Tradition folgend, um Donationen für die nächste Spielzeit bäten.
    Tito zeigt sich unbeeindruckt. Ob das ein Witz sein solle? Man lebe im zwanzigsten Jahrhundert.
    Der Sekretär wendet vorsichtig ein, daß Signor Giulio hiesigen Bräuchen immer, wenn auch seufzend, entsprochen habe. Es handele sich ja doch um eingesessene und überaus stimmenstarke Claques. Eine Handvoll Lire pro Kopf – und sie würden Bravi brüllen bis zur Erschöpfung. Man könne auch Buhrufe kaufen.
    Wie bitte? Warum sollte man Buhrufe kaufen wollen?
    Zum Beispiel bei der Premiere eines Sonzogno-Komponisten. Nicht, daß Signor Giulio je von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht habe, jedoch …
    Sie wollen mir also erzählen, daß diese Ganoven dreifach abkassieren? Sonzogno, uns und die Scala?
    Schon. Damit sich sozusagen ein Gleichgewicht der Kräfte einstellt.
    Und für wen brüllen die, wenn alle gleichermaßen bezahlt haben?
    Das könne man nicht sicher voraussagen, sicher sei dann nur, daß sie nicht vor Enttäuschung brüllen.
    Tito lacht laut, zeigt sich entsetzt über derlei korrupte Atavismen. Damit müsse es ein für allemal ein Ende haben. Mit eiserner Hand müsse da gekehrt werden. Vor die Tür mit dem Geschmeiß!
    Der Sekretär, obwohl Vater von vier Kindern, beweist Mut. Nun, fünfzig Lire, für die gesamte Saison, das ist doch kein Betrag – Ihr Vater pflegt in dieser Frage immer …
    Seien Sie still!
    Sehr wohl.

20
    Liebster,
    ich fühle, wie Du mir entschwindest. Es peinigt mich. Gedenkst Du hin und wieder der Zeit, da wir zwei den Göttern glichen, keinem irdischen Recht verpflichtet? Und jetzt? Alle Brücken abgebrochen habe ich für Dich, um mich auf Trümmern wiederzufinden. Sei bitte ehrlich zu mir. Soll ich meinen Unterhalt fortan von eigenem Geld bezahlen? Du schickst mir ja nichts. Ich kann arbeiten, aber willst du wirklich, daß ich mir eine Anstellung suche? In dem Beruf, den Du mir ausgeredet, ja schlechtgeredet hast, als meiner nicht würdig. Nie wieder müsse ich arbeiten, hast Du gesagt. Dieser Carignani hat mich alle Nerven gekostet. Eine vom Wahnsinn gezeichnete Person, wenn Du klare Worte erlaubst. Er hat mich am Handgelenk gepackt und mir ins Ohr geflüstert, ich sei eine Art verjüngter Cundri . Was bedeutet das denn? Es steht nicht mal im Wörterbuch. Mailand gefällt mir immer weniger. In Deinem letzten sehr sehr kurzen Brief hast Du erwähnt, daß Dich der Padre Michelucci besucht hat. Warum setzt Du mich davon in Kenntnis? Hat er Dir in Dein Gewissen hineingeredet? Jedenfalls wird es Dir etwas bedeutet haben, oder geschieht in Deinem Leben plötzlich so wenig, daß Du gar vom Besuch des Dorfpfarrers berichten mußt? Selbst wenn Du so was nur aufschreibst, um die Seite, die Du mir ab und an gönnst, mit irgend etwas vollzukritzeln – ist Dir nicht bewußt, was Du damit in mir auslöst? Lauter kleine Signale, die mir angst machen, und wenn ich Dich um klare Worte bitte, weichst Du auf klangvolle Phrasen aus, daß Du mich immer lieben würdest. Hättest Du wenigstens geschrieben, wie sehr Dir der Pfarrer auf die Nerven gegangen sei. Das hast Du nicht. Überall im Land sind die Zeitungen voll von Deinen

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