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Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition)

Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition)

Titel: Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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werden, im Sommer ist gar nicht dran zu denken, tagsüber zu arbeiten. Puccinis Bein läßt sich inzwischen wieder so weit belasten, daß er auf Krücken gehen und aus eigener Kraft den Topf benutzen kann. Mit Hilfe eines Rollstuhls und auf der Treppe angebrachter Schienen hat er während des gesamten Frühlings nur zweimal das Zimmer verlassen, hat im Garten gesessen, davon einmal, um für Reporter und Fotografen zu posieren, neben aufgestellten Pappfiguren, die Heroinen seiner Opern darstellen sollten, Manon, Mimi und Tosca. Inzwischen könnte er mit den Krücken die Treppe bezwingen, aber er fühlt sich noch schwach, verliert leicht das Gleichgewicht, ihm muß geholfen werden, von mindestens zwei starken Männern, die seine 95 Kilo im Notfall auffangen können. Das ist ihm peinlich. Runter ins Erdgeschoß ziehen wollte er auch nicht, wegen des unvermeidlichen Trubels im Haus.
    In einer Woche werden die Librettisten zur Schlußbesprechung eintreffen. Er kleidet sich an, als wäre es schon soweit, wählt einen der blauen Sonntagsanzüge, nur auf die Fliege verzichtet er. Mit Doria ist er sehr zufrieden, sie spricht kein unnötiges Wort, lenkt ihn nicht ab, erfüllt akribisch ihre Pflichten, die aus Putzen und Hilfsdiensten in der Küche bestehen. Manchmal darf sie sogar den Nachtisch zubereiten. Sie scheint verschlossen und schüchtern. Ob sie tratscht? Wohl möglich, aber die Indizien sprechen dagegen.
    Doria?
    Ja?
    Würdest du etwas für mich tun?
    Gern, Sor Giacomo.
    Es ist ein bißchen heikel. Kann ich dir einen Brief anvertrauen, ohne daß …?
    Das Mädchen nickt. Puccini prüft sie mit einem langen Blick. Schreibt die Adresse auf ein Kuvert, steckt den Brief hinein.
    Hier hast du Geld für die Briefmarke. Ich vertraue dir. Behalt den Rest.
    Danke!
    Sie sieht ihn glücklich an, überzogen glücklich, mit den flakkernden Augen einer Veschwörerin. Giacomo schmunzelt. Er hat nicht daran gedacht, was eine solche Geste für einen Bauerntrampel bedeuten muß. Aber ihre Freude, das stille Pathos, mit dem sie, ohne ein Wort zu verschwenden, nur mit Blicken verspricht, bestimmt nicht zu versagen, das rührt ihn.
    Daß sie aber mit dem Brief in der einen, den verwelkten Blumen in der anderen Hand das Zimmer verlassen will, ernüchtert ihn wieder.
    Warte! Du kannst den Brief doch nicht so offen herumtragen, hat dein Kleid keine Tasche?
    Nein, Sor Giacomo! Sie wirkt entsetzt, wird sich ihrer Nachlässigkeit bewußt. Verzeihung!
    Er muß lächeln, glaubt, Doria verfüge noch über zu wenig Brust, um einen ins Decolleté geschobenen Brief dort sicher aufzubewahren.
    Das Mädchen errötet.
    Ich gucke auch weg! Wirklich sieht er zu Boden, hört das Geräusch der sich schließenden Tür, fragt sich, wo an ihrem klapprigen Körper das Mädchen den Brief wohl verstaut haben mag. Das Bein schmerzt. Er fällt aufs Bett, verschwitzt von der Anstrengung.

21
    Giacosa und Illica, das physisch ungleiche Librettistenpaar, der eine beleibt und vollbärtig, der andere klein, schlank, mit einem Schnurr- und Kinnbart, der ihm ein fuchshaftes, listiges Aussehen verleiht, sitzen am See und erwarten rauchend ihren Brotherrn. In all den Jahren hat sich zwischen beiden ein rüde-ironischer Ton entwikkelt, der nur oberflächliche Zuhörer zur Annahme verleiten könnte, sie würden einander nicht respektieren.
    Ich bin froh, flötet Illica, dandyhaft auf seinen Stock gestützt, daß ich diese gehudelten Änderungen nicht verantworten muß. Wie konntest du dich dazu überreden lassen?
    Giacosa seufzt laut und pafft an seinem Stumpen. Was solls, Luigi? Wenn er es partout so haben will… Es hat doch alles nichts genutzt. Nie hat etwas genutzt. Immer hat er seinen Kopf durchgesetzt. Innerlich gestorben bin ich deswegen …
    Luigi Illica rollt mit den Augen. Du läßt ihm nicht etwa seine Freiheit, du läßt ihn in sein Verderben laufen. Willst es nur hinterher besser gewußt haben. Das ist keine Freundschaft! Das ist bösartige, vorauseilende Selbstzufriedenheit!
    Das wird schon alles, wie es soll.
    Giacomo humpelt auf Krücken heran. Wie er sich in Schale geworfen hat! Er sieht aus wie ein Kapitän in Galauniform.
    Der kleine Tisch am Wasser ist mit Wein und Früchten gefüllt.
    Da seid ihr endlich! ruft Giacomo, als habe er auf die beiden warten müssen, nicht umgekehrt. Früher hätte man einander umarmt, nun gibt man sich die Hand, beklopft sich gerade mal ein wenig die Schultern. Vorsichtig.
    Gott, wenn ihr ahnen könntet, wie ich mich

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