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Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition)

Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition)

Titel: Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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so, daß er Pieri geradezu darum gebeten hat, man möge etwas Verwerfliches finden? Haben nicht vielleicht sogar andere Leute Pieri um dasselbe gebeten?

26
    Lieber Gigi,
    gestern war ein schlimmer Tag. Du ahnst, weshalb – es brach mir das Herz, dieses Mädchen von mir zu stoßen – und selbst wenn es sein mußte, wenn es nach allen vernünftigen Maßstäben notwendig war, kam es einem Martyrium gleich. Dennoch, sie ist jetzt seit einem Monat einundzwanzig und hat, wenn die Sache geheim bleibt, noch ihr ganzes Leben vor sich. Ich kaum noch ein halbes.
    Ich hätte mich nie auf eine Siebzehnjährige einlassen dürfen, aber, Gott ist mein Zeuge, ich habe sie nie ausnutzen wollen, hatte eine gemeinsame Zukunft für uns im Auge. Ob sie mich betrogen hat oder nicht, ist aus einem gewissen Blickwinkel marginal. Der Mensch lebt und liebt und betrügt. So verliebt war ich nie und werde es wohl nie mehr sein.
    Ich habe ihr einen bösen, wirklich bösen Brief geschrieben, was war, kommt nicht wieder, und man muß die Türen hinter sich schließen. Sie wäre ruiniert, sollte die Angelegenheit je ans Licht kommen. Ich habe alle Mitwisser demütig drum gebeten, Stillschweigen zu bewahren, gebe Gott, daß niemand plaudert, das hätte die Arme nicht verdient, sie ist auf gewisse Weise unschuldig, es war meine Leichtfertigkeit, die dieses Fiasko verursacht hat. Ich hoffe so sehr, daß C. jetzt einsichtig reagiert und nichts tut, mit dem sie sich am Ende mehr schadet als mir. Dank meiner Talente würde diese krämerisch-bigotte Welt mir irgendwann verzeihen. Ihr würde man nie verzeihen. Du hast mir gegenüber stets behauptet, ich würde nie ernsthaft erwogen haben, sie zu heiraten, vielleicht hast Du recht gehabt, so genau weiß ich es selbst nicht.
    Hätte es den Unfall nicht gegeben, hätt ich es vielleicht doch getan, wer weiß? Aber so bin ich ein Krüppel, vierundvierzig, bald fünfundvierzig Jahre alt. Das scheint mir das letzte, was eine junge Frau brauchen kann. Aber ich will nicht so tun, als ob mein Handeln uneigennützig wäre. Umgekehrt könnte man sagen, daß eine blühende Einundzwanzigjährige das letzte wäre, was ein hart arbeitender, depressiver Krüppel wie ich an seiner Seite brauchen könnte. Der Bruch wäre vorprogrammiert. Zwei, drei Jahre lang mag das gutgehen, länger nicht, wir wissen das, weil wir erfahrene Männer sind. Cori weiß es nicht und hält mich für streng und brutal. Unfähig zu verzeihen. Es ist tragisch.
    Du kannst, wenn Du willst, unserem wirklich gestrengen Herrn Giulio darüber Meldung machen, daß zu Ende gegangen ist, was ihn so geplagt hat, wir müssen jetzt alle wieder zusammenfinden und irgendwie weitermachen. Herzlich,
    G.
    Luigi Illica ist derjenige, der vom Bruch als erster erfährt. Von dem es dann die anderen erfahren. Während der erhabene Vers-Dichter Giacosa mit den Ricordis ebenso sinnlos wie erbittert darum streitet, ob denn auch die nicht komponierten Zeilen, die ja zweifellos Teil des Kunstwerks seien, im Libretto gedruckt würden, begreift sich der Prosaist Illica, obwohl gefeierter Theaterautor, in Operndingen als Puccinis ergebener Textlieferant und, vor allem, als sein Freund . Freundschaftlich ist es gemeint, wenn er, aus tiefster Sorge um Giacomo, das Haus Ricordi über die jüngsten Entwicklungen in der »Affäre Corinna« auf dem laufenden hält.

27
    Torre del Lago, Anfang November. Puccini, neben sich die Krükken, sitzt am von zwei Kerzen beleuchteten Klavier im großen Salon der Villa, ein Bein hochgelegt, spielt die Anfangstakte von Un bel di vedremo . Unterbricht, korrigiert die Partitur. Wie so oft, und kein Mensch weiß, warum, trägt er einen Hut beim Komponieren. Um Mitternacht wird an die offenstehende Tür geklopft.
    Ja?
    Sor Giacomo? Entschuldigung. Ich bringe den Kaffee. Er ist frisch gebrüht.
    Setz dich. Hör zu, wenn du magst. Es stört mich nicht.
    Warum haben Sie beim Komponieren immer diesen Hut auf?
    Solange man keine Fragen stellt.
    Doria bittet erneut um Entschuldigung, setzt sich auf ein Kanapee neben der Tür, legt ihre Hände auf die Knie, sitzt stangengerade und wagt sich kaum zu rühren.
    Puccini spielt eine Melodie an. Die sei auch frisch gebrüht. Magst du das?
    Klingt sehr schön.
    Ist auch ganz schön. Und das?
    Ich finde alles schön, was Sie komponieren.
    Ah! Gut. Sehr gut! Ein Standpunkt, mit dem sich nicht viel falsch machen läßt!
    Doria preßt die ohnehin schmalen Lippen zusammen. Glaubt sich verspottet. Entschuldigt sich

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