Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition)
nehmen wir nicht das Boot?
Och. Hier können wir nicht gesehen werden.
Den triftigeren Grund, daß er mit seinem Bein ein schwankendes Boot noch nicht ohne Schmerzen oder Hilfe betreten kann, behält er für sich. Plötzlich flattert ein Erpel auf aus dem Röhricht. Giacomo hebt das Gewehr, zielt und trifft. Doria hält sich die Ohren zu. Der sterbende Vogel fällt aufs Wasser, aber nicht weit, höchstens fünf Meter vom Ufer entfernt.
Was für ein Schuß! Mein allererster seit Februar! Gut, nicht? Ja? Jetzt haben wir ein Problem. Wie holen wir die Beute ein? Kannst du sie erreichen, Doria?
Doria schweigt.
Versuchs doch mal. Der See ist hier nicht tief.
Doria schüttelt den Kopf. Es ist kühl, das Wasser bestimmt unter fünfzehn Grad kalt, und selbst wenn sie, was sich unmöglich schicken würde, ihr Kleid bis zu den Knien anhöbe, käme sie ja kaum zwei Meter weit, bevor ihr Rocksaum naß würde. Giacomo begreift das Dilemma, steckt sich eine Zigarette an und winkt ab.
Na gut, dann warten wir! Das Tier wird schon herangetrieben, siehst du?
Dorias Augen füllen sich mit Tränen.
Weshalb weinst du denn?
Ich weine immer, wenn ein Geschöpf Gottes stirbt, ohne daß es sein muß.
Er stutzt, schmunzelt, wie über einen sehr eigenartigen, originellen Aspekt.
Dann … hättest du ja den ganzen Tag über zu weinen!
Verzeihen Sie mir!
Gibt nichts zu verzeihen. Genießen wir den Morgen, die frische Luft, die Natur … Willst du auch eine Zigarette? Nein?
Beide schließen die Augen und lauschen dem Schwappen der leichten Wellen auf dem Kies. Warten ungefähr zehn Minuten, während derer das tote Tier, wie vorhergesagt, dem Ufer zutreibt. Schließlich kürzt Puccini die Sache ab, indem er selbst, wiewohl auf Krücken, einen Meter weit in den See steigt. Das Wasser reicht ihm bis über die Knie, fließt in die hohen Lederstiefel. Ein mutiges, waghalsiges, auch ein recht angeberisches Unterfangen, er muß im richtigen Moment mit der linken Hand beide Krücken halten, das Gleichgewicht wahren und den toten Erpel irgendwie an sich nehmen. Es gelingt ihm, gerade so, und bemüht lächelnd, dabei vor Anstrengung keuchend, kehrt er samt Beute ans Ufer zurück. Wo sich Doria ihrer Tränen und ihrer Nutzlosigkeit schämt. Sie scheint soeben für ihn gebetet zu haben, ihre Handflächen sind fest aufeinandergepreßt.
Ihr Anblick rührt ihn. Was war das nur für eine Schnapsidee gewesen, mit dem Mädchen auf die Jagd zu gehen. Er hat sie, das Dorfkind, für abgebrühter gehalten. Eine peinliche Angelegenheit, die ihn nach Worten suchen läßt.
Du hast ein reines Herz. Schäm dich dessen nie. Es ist spät. Ich werde schlafen gehen. Bring den Vogel deiner Mutter, mit einem Gruß von mir. Zier dich nicht. Na los!
Doria ziert sich gar nicht, ihre Mutter würde sich über den Braten sicher freuen. Aber das Tier anfassen … Giacomo versteht beim besten Willen nicht, warum sie zögert.
Na, geh schon. Es ist gut!
Er winkt gnädig, wie man Dienern den als Erlaubnis getarnten Befehl gibt, sich zurückzuziehen.
Doria nimmt die tote Ente erst widerstrebend, dann wie ein Kind auf den Arm, Tränen schießen ihr aus den Augen, sie rennt fort, am Ufer entlang.
28
Mitte November schreibt Cori einen Brief, der an keinen Mittelsmann mehr gerichtet ist, sondern direkt an Giacomo Puccini, wohnhaft Torre del Lago. Den also Elvira als erste liest, wie sich auch Cori denken kann, er hat es ihr ja oft genug gesagt, oder angedeutet. Vielleicht eher angedeutet. Ganz hilflos hat er vor ihr ja auch nie dastehen wollen.
Cori schreibt, sie werde die Trennung unter diesen Umständen, die schmachvoll und entwürdigend seien, nicht hinnehmen und notfalls geeignete Maßnahmen ergreifen, falls Giacomo nicht sofort umdenke. Man könne eine liebende Frau so nicht behandeln. Sie wolle ihm keineswegs Scherereien machen, oder nur, falls unbedingt nötig, mehr gehe es um den ehrenhaften Rahmen einer wunderbaren, glücklichen Liebe, die nicht derart in den Schmutz gezogen werden dürfe. Sie sei beleidigt und verleumdet worden, Fremde hätten in ihrem Privatleben gekramt und sich widerrechtlich Zutritt zu etlichen Bereichen verschafft.
Giacomo ist erbost über das provokante, indiskrete Schreiben. Sie läßt sich gehen, droht ihm mit geeigneten Maßnahmen – welche sollten das sein? Cori ist offenbar verrückt geworden. Sie hat sich als halbes Kind mit einem viel älteren Mann eingelassen, glaubt sie, das würde ihr jemals verziehen werden, sollte die Sache
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