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Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition)

Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition)

Titel: Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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müssen.
    Von Paris aus reist das Ehepaaar Puccini weiter nach Genua, zur dortigen Produktion der Butterfly , die zum Riesenerfolg in einem völlig überfüllten Theater gerät. Die neue Oper ist endgültig rehabilitiert.
    Giacomo sieht sich so viele Produktionen seiner Opern nicht etwa nur aus Eitelkeit an, meist trifft er ein paar Tage früher ein, um die Endphase der Proben zu überwachen und Sängern und Dirigenten Hinweise zu geben, eine oft harte und desillusionierende Arbeit. Wie bei sonst kaum einem großen Komponisten werden Puccinis sehr detaillierte Partituranweisungen über Jahrzehnte hinweg fahrlässig bis respektlos behandelt, oft einfach ignoriert.
    Anfang Dezember, in Rom, fast ein Jahr nach der Hochzeit, legitimiert er endlich Tonio als seinen Sohn, was diesem mehr bedeutet, als der Vater ahnen würde – würde er sich darüber Gedanken machen.
    Elvira zeigt sich dann, was Sybil betrifft, zwar doch ein wenig, aber nur sehr kurz mißtrauisch; Giacomo kann sie überzeugen, daß es sich um eine rein geistige Beziehung handelt, eine Art Seelenverwandtschaft. Außerdem sind die beiden Tausende Kilometer voneinander entfernt, und sie können sexuell nichts miteinander gehabt haben, für Elvira ein wichtiger Gesichtspunkt. Wieviel Giacomo von seiner Brieffreundschaft erzählt! Nein, er macht wirklich nicht den Eindruck, etwas zu verschweigen. Und wie die Dame aus London das Werk Puccinis mit tiefem Verständnis kommentiert, mit außerordentlichem ästhetischem Einfühlungsvermögen den Finger auch mal auf wunde Punkte legt, ohne je, wie so viele andere, ihn gleich manipulieren zu wollen!
    Elviras tiefsitzender Minderwertigkeitskomplex läßt sie einsehen, daß Sybil Seligman eine notwendige Stelle in Giacomos Leben besetzt, die sie selbst, eine zufällig per Heirat in die große Gesellschaft gespülte Provinzlerin, nicht ausfüllen kann. Hinzu kommt, daß Sybil ihr stets Respekt erweist, Briefe und Geschenke sendet. Eine überaus einnehmende Frau, deren Charme und Warmherzigkeit jeden beeindrucken, auch Elvira.
    Sybil empfiehlt Giacomo einige neue Sujets für ein Libretto, darunter Merimée, Tolstois Anna Karenina , Bulwer-Lyttons Letzte Tage von Pompeji und Kiplings The Light that failed , was ihm aber alles nicht gefällt. Trotz ihrer Einwände verfolgt er nun doch wieder den Plan, eine große Oper über Marie Antoinette zu schreiben. Illica arbeitet mit viel Lust daran, während Giacosa, krank geworden, dahinsiecht.
    Nach und nach erfährt Giacomo Details über die eher unkonventionelle Ehe, welche die Seligmans führen. David, in San Francisco geboren und vom Großvater nach London geschickt, um die dortige Zweigstelle der Seligman-Bank zu betreuen, zeigte an seiner Frau, sobald die Fortpflanzung mit zwei männlichen Erben erst einmal gesichert war, keinerlei sexuelles Interesse mehr. Im Moment unterhält er etliche feste Freundinnen und noch mehr Affären, ist voll damit beschäftigt, das beträchtliche Vermögen der Familie über die Welt zu verteilen.
    Das alles ist Sybil nur recht, weil es hilft, ihre Unabhängigkeit zu stärken.
    Als eines von acht Kindern (vier Brüder und vier Schwestern) entstammt Sybil Rachel der jüdischen Familie Beddington, wohnhaft 21 (heute 20) Hyde Park Place in London. Geboren wurde sie am 23. Februar 1868. Ihr Vater, der Kaufmann Samuel Beddington, ein Mann von größtenteils deutschen Wurzeln, hatte es zu sagenhaftem Reichtum gebracht, in seinem Haus fanden wichtige Bälle der Londoner Society statt. Samuel erwartete nicht, daß eines seiner Kinder jemals würde arbeiten müssen, alle ließ er nach streng bildungsbürgerlichen Normen ausbilden, dazu gehörte Klavier- und Gesangsunterricht, Griechisch und Latein, Französisch und Deutsch. Sybil lernte dazu noch Italienisch. Im Haus wurde viel gesungen, am liebsten deutsche Kunstlieder und – früh schon – Arien Puccinis. Das Haus der Beddingtons war riesig, möbliert in der dunklen Opulenz des mittleren Viktorianismus, massive Möbel aus Eiche, Treppen in hellem Beige, die Bodenmuster dunkelrot und blau. Im Morgenzimmer schwere Ledersessel und ein kleiner Flügel, dahinter das lange Speisezimmer mit vielen Ölgemälden, bevorzugt Landschaften von Benjamin Leader. Im ersten Stock lag der große Salon, von dem aus man auf den Hyde Park sah, dort befand sich auch Zillah Beddingtons Steinway-Flügel, der von ihrem Lehrer Paderewski ausgesucht worden war. Im gleichen Zimmer gab es einen Marmorkamin, an dem sich die

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