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Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition)

Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition)

Titel: Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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das Mädchen mit Tränen und völlig überzogenen Selbstvorwürfen.
    Einmal zur Rede gestellt wegen einer auf dem Herdfeuer vergessenen, dadurch unbrauchbar gewordenen Pfanne, soll Doria einen Nervenzusammenbruch gehabt oder zumindest vorgetäuscht und gegen die Schmerzen der Schande eine Flasche leicht arsenhaltiger Medizin ausgetrunken haben. Die gesundheitlichen Komplikationen seien zwar überschaubar geblieben, auf heftiges Erbrechen und einen Tag Bettruhe beschränkt, die verstörte Elvira jedoch sei danach im Umgang mit ihr vorsichtig geworden, habe sie fortan wie ein rohes Ei behandelt.
    Puccini wird später gegenüber Sybil behaupten, dieser Vorfall sei frei erfunden, er müsse sich sonst daran ja wohl erinnern können.
    Doria wünscht sich nichts so sehr, als daß ihr Brotherr wieder zu komponieren beginnt. Sie denkt sehnsuchtsvoll an das Jahr zurück, als sie ihm dabei zuhören durfte. Jene Nächte sind die Glanzlichter ihres Lebens gewesen, sie kann nicht verstehen, weshalb ein begnadeter Künstler so lange Pause macht und sein Klavier nicht einmal der Übung halber benutzt.
    Mitunter wagt sie ihn zu fragen, ob denn ein neues Libretto in Sicht sei, dann hebt Puccini, gerührt lächelnd, die Hände, bittet um Verzeihung, er könne ja am wenigsten dafür. Aber bald, bestimmt schon bald, sei es soweit.
    Doria errötet ob ihrer Kühnheit und nickt.
    Sie hat einen wunden Punkt berührt. Puccini fühlt, daß er sich endlich für irgendwas entscheiden muß, seine besten Jahre als kreativer Geist gehen mit Belanglosigkeiten vorbei, er beneidet seinen Hausgott Wagner (»Neben ihm sind wir alle nur mandolinisti !«) und alle anderen Komponisten, die sich ihre Textbücher selbst schreiben konnten. Und dennoch wartet er weiterhin auf den Stoff, der ihn spontan so sehr überzeugt, daß er ohne irgendeinen Zweifel mit der Arbeit beginnen kann. So viele Vorschläge hat es gegeben, alle hat er gelesen, nichts davon hat in ihm mehr als ein Strohfeuer ausgelöst.
    Dem alten Ricordi geht es auf die Nerven, immer wieder bereits fixierte Verträge mit in Frage kommenden Autoren auflösen zu müssen, oft unter erheblichen finanziellen Einbußen.
    So kann es nicht weitergehen, und Giacomo weiß es, glaubt sich von den Musen verflucht und wünscht nichts sehnlicher, als daß sich irgendeiner von Sybils Vorschlägen als brauchbar erweise. Das Libretto zu Marie Antoinette ist unterdes weit gediehen, Ricordi fragt an, was damit denn bitte nicht in Ordnung sei. Giacomo gibt keine Antwort, weicht aus, redet von einer komischen Oper, die ihm eher liegen würde, etwas Leichtes. Die Idee verläuft im Sand, wie vieles andere.
    Während Sohn Antonio im Oktober zu seiner neuen Ausbildungsstätte fährt, dem Technikum in Mittweida bei Dresden, bricht sein Vater endlich nach London auf, um Sybil zu sehen, fast genau ein Jahr nach ihrer ersten Begegnung. Unklar ist ihm, was ihn erwartet, oder was er erwarten soll.
    Warum hat sie, die schöne Frau, an der der Gatte kein Interesse mehr zeigt, keine Liebhaber? Wenigstens behauptet sie das, wenn sie es auch auf eine verklausulierte Anfrage hin in ebenso zurückhaltenden Worten ausdrückt. Nein, sie ahme den libertinen Lebensstil ihres Mannes in keiner Weise nach, schreibt sie einmal, niemand, den sie in ihr Herz geschlossen habe, müsse eifersüchtig werden.
    Paolo Tosti, der Londoner Freund, von Giacomo diskret nach dem Umgang seiner Gesangsschülerin befragt, hat auch nichts läuten hören – und es wäre für ein noch so vages Gerücht unüblich, sich nicht irgendwann in seinen Salon zu verirren.
    Sybil liegt offenbar brach. Aber weswegen?
    Viele Möglichkeiten hat Puccini zwischendurch angedacht. Sybil könnte frigide, lesbisch oder treu sein. Oder an einer Unterleibskrankheit leiden. Oder könnte ganz normal sein, ihn aber körperlich nicht attraktiv finden, weshalb sie ihm nur vormacht, keine Liebhaber zu benötigen. Er rechnet mit allem, auch dem Schlimmsten, und schwört sich, auf keinen Fall etwas zu unternehmen, was die Freundschaft zu ihr gefährden könnte. Eine für ihn neue, ungewohnte Strategie, wie er selbstironisch feststellt; es müsse das Alter über ihn hereingebrochen sein und die Weisheit.
    Um so überraschender gerät das Wiedersehen. Sybil kommt herbeigeeilt, umarmt ihn in seiner Suite im Hotel Savoy, sie küssen sich und schlafen miteinander. Womit er nicht gerechnet, was er kaum zu hoffen gewagt hat, wird ohne viele Worte Ereignis. Er ist außer sich vor Glück und

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