Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition)
Selbstüberwindung.
Am 23. Juni treffen beide in Buenos Aires ein, sie werden mit großem Luxus empfangen, zu Ehren des Maestros wird eine große Jagd abgehalten, auf der er sich zum Erstaunen der Gastgeber als eher mäßiger Schütze erweist. Er begegnet seinem alten Freund Ferruccio Pagni wieder, jenen indiskreten Empfänger so manch intimen Briefes. Vor mehr als einem Jahr, am 18. Februar 1904, einen Tag nach dem Butterfly -Fiasko, ist Pagni nach Argentinien ausgewandert; bei Puccinis Ankunft stand er am Hafen in der Menschenmenge, einer unter Tausenden, traute sich nicht zu ihm, jetzt, beim Bankett in der Stadthalle, gibt er sich einen Ruck, tritt mit gebeugtem Haupt an den Tisch des Ehrengastes und bittet Giacomo, ihm nicht mehr böse zu sein. Giacomo verzeiht ihm prompt, behauptet sogar, daß es von seiner Seite nie ernsthaften Groll gegeben habe.
Mehr schlecht als recht erträgt er die vielen ausufernden Empfänge, die zu seinen Ehren veranstaltet werden. Hier kann er sich nicht, wie im Hause Tostis, renitent zeigen, muß den eleganten, weltgewandten Komponisten geben, mit der dazugehörigen Grandezza. Inzwischen beherrscht er dieses Maskenspiel zufriedenstellend, hat manchmal sogar Spaß daran – und fürchtet prompt, eine Marionette der Gesellschaft geworden zu sein. Er muß oft an seinen jüngeren Bruder Michele denken, der in die Neue Welt geflohen und am Gelbfieber gestorben war. Aus dessen hinterlassenen, sehr talentierten Kompositionen Giacomo einige wenige Takte in seine Tosca eingefügt hat, was er – zwanzig Jahre später, in einem Nebensatz – eingestehen wird.
Im Teatro Colon führt man, mit den besten italienischen Kräften, die Butterfly und fast sämtliche früheren Opern auf, auch die Neubearbeitung des Edgar . Selbstkritisch wie stets stellt Puccini fest, daß seine Verbesserungen nichts genutzt hätten, daß diese Oper allerhöchstens aufgewärmte Suppe sei und nicht zu retten. Einige Tage verbringen er und Elvira noch in Montevideo. Der ursprüngliche Plan, das Grab des Bruders in Rio de Janeiro aufzusuchen, erweist sich als den Dimensionen des Kontinents und dem Stand der dortigen Technik gegenüber naiv, die Zugfahrt nach Rio würde fast eine Woche dauern.
Giacomo sehnt sich nach heimischem Boden, nach dem Gefühl, endlich wieder unbeobachtet er selbst sein zu dürfen. Nur – wer bin ich? Bin ich noch etwas anderes, als die Welt in mir sehen will? Bin ich schon so geworden, wie mich die Welt haben wollte?
Am 5. September treffen die Puccinis in Genua ein und fahren sofort nach Torre del Lago weiter. Elvira schreibt begeistert über das Gesehene, Giacomo ist still über das Abgeleistete froh.
Beide haben auf ihre Weise ein Gefühl dafür bekommen, was Weltläufigkeit im 20. Jahrhundert bedeutet. Quasi am Ende der bewohnten Erde wurde ihnen gehuldigt; wie ein Königspaar wurden sie empfangen. Elvira legt sich ein aufgerüstetes Bewußtsein für die Bedeutung ihres Gatten zu, Giacomo sieht sich als Künstler bestätigt. Ihn verlangt nach Ruhe und Abgeschiedenheit. Untätig, ohne neues Libretto, kann er mit der Ruhe aber wenig anfangen.
Doria hat es inzwischen, nach zweieinhalb Jahren, zur Hilfsköchin gebracht, sie zeigt Talent für alles, was mit dem Haushalt zu tun hat, ist fleißig, gehorsam und pflegeleicht. Mit offenem Mund lauscht sie den Erzählungen aus der Neuen Welt, und Giacomo erzählt gern vor versammelter Dienerschaft, hat Freude an der Dankbarkeit, mit der dort jedes Detail aufgenommen wird. Der ländlichen Bevölkerung gilt stets sein Mitgefühl; insgeheim betrauert er all jene, die ein um so viel langweiligeres Leben führen müssen als er selbst, beneidet sie nur, wenn ihm der Trubel mal wieder zuviel wird.
Am 6. September 1905 feiert Doria ihren zwanzigsten Geburtstag, und der Hausherr schenkt ihr nebst dem obligaten Blumenstrauß aus zwanzig Nelken ein Extragehalt von zwanzig Lire, einen Monatslohn, als Bonus für ihre guten Dienste. Elvira, an den Geiz ihres Mannes gewöhnt, wundert sich, schweigt aber. An dem Mädchen ist schließlich nichts auszusetzen, die Gratifikation hat es sich verdient.
Doria ist weiblicher geworden, wenn auch nicht hübsch. Sie ist zweifellos auf dem Weg zur Frau, mit den dazugehörigen Formen und Kurven. Falls es über sie jemals etwas Negatives zu berichten gegeben hat, war es ihre Mimosenhaftigkeit, für Elvira ein ›hysterischer Charakterzug‹. Auf den geringsten Tadel, und wenn er auch noch so selten nötig ist, reagiert
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