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Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition)

Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition)

Titel: Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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Familie an Winterabenden versammelte. Nach einer langen Gemäldegalerie trat man ins Billardzimmer ein. Im zweiten Stock gab es einen kleinen Farngarten mit Wasserfall, der durch das rote Milchglas in der Decke vom Tages- und vom Sternenlicht illuminiert wurde.
    Es kursieren viele Anekdoten um die Familie. Der jüngsten Schwester Sybils, Violet, machte der Komponist Arthur Sullivan, der schon sehr alt war und darauf humorig als ein gutes Argument verwies (Violet bekomme einen Titel, viel Geld und einen Gatten nur für kurze Zeit), einen Antrag, den die Zwanzigjährige ablehnte, um später, im Alter von schon vierzig Jahren, Sydney Schiff zu heiraten, der unter dem Pseudonym Stephen Hudson Romane schrieb. Literarisch zweifellos erfolgreicher als er war Sybils ältere Schwester Ada, verheiratete Leverson, deren Romane sogar heute noch Neuauflagen erfahren. Sie wurde zur engsten Vertrauten Oscar Wildes, der sie verehrte und seine »Sphinx« nannte. Bei ihr kam er während des Prozesses unter, nach dessen Ende er zwei Jahre Gefängnis wegen ausgeübter Homosexualität absitzen mußte.
    Sybil benutzt Davids Geld, um nach Lust und Laune durch Europa zu reisen, meist von einem ihrer Söhne und/oder ihrem Mann begleitet. Die Winter werden in Nizza, Monte-Carlo oder St. Moritz verbracht. Es ist ein unbeschwertes und kultiviertes Dasein, intelligent genutzt. Liebhaber hat sie nicht, wie sie beiläufig erklärt. Sex, was Giacomo zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht weiß, bedeutet ihr fast nichts. Ihre Briefe, obgleich zwanglos und voller Sympathie und Verehrung, sind frei von schlüpfrigen Stellen. Selbstverständlich nimmt sich Giacomo vor, irgendwann mit ihr zu schlafen, er findet es nur natürlich, mit jeder Frau schlafen zu wollen, die er mag – und diese liebt er sogar –, andererseits reizt ihn genau jene Distanz, die Sybil beschwört, indem sie ihn vorrangig als Künstler behandelt, dann erst als Menschen , an allerletzter Stelle als Mann .
    Vom ersten Moment an wird sie seine Vertraute, mit der er offen alle Probleme, zuerst die beruflichen, anspricht. Ihr Trost und Rat scheinen ihm bald unverzichtbar. Ihr schüttet er sein Herz aus, die Briefe an sie bilden das Ventil für alle Tristesse und Paranoia.
    Vom Modell der Seligmanschen Ehe, die trotz allem irgendwie glücklich genannt werden kann, ist er höchst beeindruckt, findet es zukunftsweisend und lobenswert. Ein ähnliches Arrangement könnte er sich auch für Elvira und sich selbst vorstellen.
    Nein, kann er nicht. Als er ihr gegenüber einige sanfte Andeutungen macht, weiß diese nicht, was um Himmels willen er ihr mitteilen möchte. Nein, mit Elvira scheint so etwas nicht vorstellbar. Wünschenswert ja, vorstellbar nein.

3
    1905
    ist ein Jahr der intensiven Stoffsuche. La Conchita ist noch nicht gestorben, auch verfolgt Puccini den originellen Plan, drei Erzählungen Gorkis zu einem Triptychon zusammenzufassen, was auf heftige Mißbilligung seitens des alten Ricordi stößt. Das wäre doch zu unkonventionell.
    Am 14. Januar schreibt Giacomo ein Requiem zum Anlaß von Verdis viertem Todestag, ein kurzes, schlichtes, doch enorm berührendes Werk, das er nach der Uraufführung vor fünfzig Zuhörern im Casa del Riposo (dem von Verdi gegründeten Altersheim für Musiker) geheimhält, quasi aus der Welt schweigt. Als sei das etwas gewesen, was er nur mit sich selbst habe abhandeln müssen. Wenngleich er Verdi (zwar lange nicht so wie Wagner, aber doch) verehrt hat, litt er unter dem Schatten des Altmeisters. Es existiert keine authentisch positive Äußerung Puccinis über den Ahnherrn, das Requiem indes sagt genug, er hat es komponiert, seine Schuldigkeit getan, damit gut.
    Im März, über zwei Jahre nach dem Autounfall, wird Giacomo seine Krücken los und fühlt sich wieder als vollwertiger Mensch. Er beschließt, jene dreieinhalb Jahre, die ihm bis zu seinem fünfzigsten Geburtstag bleiben, zu genießen, gegen welchen Widerstand auch immer. Damit er sich hinterher keine Vorwürfe machen kann, mit seiner Zeit leichtfertig umgegangen zu sein.
    Ereignis des Jahres ist die Schiffsreise Giacomos und Elviras nach Südamerika vom 1. Juni bis zum 5. September.
    Elvira verträgt den Seegang nicht, ständig ist ihr übel, sie liegt im Bett und kann nichts essen. Auf den Kanarischen Inseln angekommen, bricht sie die Reise beinahe ab. Nur die Aussicht, ihren Gatten allein und unbeaufsichtigt auf die Neue Welt loszulassen, zwingt sie zur nötigen

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