Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition)
Beigeschmack von eigenem Versagen, hält aber unvermindert an, nicht zuletzt genau deswegen. In den Briefen und Billets, die er ihr zu jener Zeit sendet, findet sich all jene Zärtlichkeit, die Sybil auf sexueller Ebene wohl nötig gehabt hätte, um zu empfinden, was ihr bis dahin nicht gegönnt gewesen war. Durch seine Versuche, sie erneut ins Bett zu bekommen, das merkt er schnell, geht eine sonderbare Form der Intimität zwischen beiden verloren. Peinlichkeiten drohen durch die Vermischung zweier unvereinbarer Ebenen. Endlich wird der momentane Schwebezustand – Askese garniert mit zarten Küsschen – auch von Giacomo als hinnehmbar und tragfähig begriffen.
Für seine Bedürfnisse, meint Sybil, gebe es doch Frauen genug. Eigentlich besitze jede Frau dieser Welt das, worum es ihm gehe.
Er staunt sie an. Das stimme wohl, aber bei Huren könne man sich mit allen möglichen Krankheiten anstecken. Sybil antwortet, an Huren habe sie gar nicht gedacht, ihm liefen doch genügend vertrauenswürdige Frauen zu, Sängerinnen zum Beispiel. Obwohl man bei denen ja auch nicht sicher sein könne. Giacomo muß grinsen, es tut ihm gut, mit einem weiblichen Wesen so freizügig zu reden.
Einmal hat er die Geliebte besitzen dürfen. Jene Nacht wird ihm stets heilig sein und aufgrund ihrer Einzigartigkeit nahrhaft genug, um jahrzehntelang davon zu zehren. Sybil indes definiert sich als irgendwie sonderbar und weiß nicht, ob sie damit selbstbewußt oder schamhaft umgehen soll. Ihr wäre sehr geholfen, wenn sie begreifen könnte, was Männer im Allgemeinen und Giacomo im Besonderen so phantastisch daran finden, sich leiblich in eine Frau, manchmal sogar eine wildfremde, zu involvieren. Andererseits ist es ihr ziemlich egal. Es betrifft sie einfach nicht. David wollte Kinder von ihr. Gut, das war ein plausibler Grund, ein Postulat der Biologie, dem hat sie sich gefügt.
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Puccini reist ab, mit sehr gemischten Gefühlen, sieht sich noch die von Toscanini dirigierte Produktion der Butterfly in Bologna an, bevor er nach Torre del Lago zurückkehrt.
Elvira erwähnt, es gebe (nach 1903, als er eine Gelegenheitsarbeit, den Canto D’Anime abgeliefert hat) eine erneute Anfrage für eine Schallplattenkomposition. Er hält wenig davon, die Qualität sei noch zu miserabel. Obzwar er sich jede technische Innovation sofort ins Haus holt, wurde das Grammophon mit dem riesigen Trichter, das ihm Thomas Alva Edison geschenkt hat, nur äußerst selten benutzt.
Andererseits, stell dir vor, sagt er, eines Tages wird diese Technik so ausgereift sein, daß Komponisten, wenn sie ihre Musik hören möchten, keine weiten Reisen mehr unternehmen müssen. Welche Kosten dadurch eingespart werden könnten! Und jene Komponisten, die nach der Uraufführung nie mehr nachgespielt werden, ob zu Recht oder Unrecht, die könnten dann trotzdem noch ihren Opern lauschen, die ansonsten für immer verstummt wären. Die Zukunft sei ein Versprechen, er wäre gerne drei, vier Jahrzehnte später zur Welt gekommen.
Doria fragt ihn am nächsten Morgen beim Frühstück, wie so ein Schallplattenspieler eigentlich funktioniere.
Im Grunde wie eine Spieldose oder Spieluhr, gibt er zur Antwort, der Unterschied sei, daß es nur eine einzige Stanze gebe und daß die Vertiefungen in der Rille unendlich klein seien.
Jetzt, sagt Doria, könne sie es sich noch weniger vorstellen. Wo käme bei so winzigen Vertiefungen denn die Lautstärke her?
Elektrizität! erklärt Giacomo. Wir leben nach der Stein- und Bronzezeit im elektrischen Zeitalter. Elektrizität sei der Schlüssel. Alles, was ist, könne in elektrische Impulse verwandelt werden.
Auch Musik?
Nein, Musik an sich selbstverständlich nicht, aber deren Vortrag. Das führe zu weit. Sie könne ja mal mit nach Mailand kommen über Weihnachten, dort eine Plattenaufnahme besuchen und es sich ganz genau erklären und demonstrieren lassen. Das könne er gewiß arrangieren. Wenn sie so daran interessiert sei.
Doria schweigt. Mailand. Dorthin wollte sie schon immer einmal. Viareggio ist ja auch, sozusagen, eine Stadt. Lucca kennt sie, war ein paarmal dort. Und in Pisa ist sie letztes Jahr gewesen. Aber Mailand …
Das wäre ein Traum, Sor Giacomo.
Er, der Mailand, wie alle größeren Städte, ausgenommen vielleicht London und, mit Einschränkungen, Paris, langweilig und nervtötend findet (man könnne dort nicht jagen, weder Fisch noch Fleisch, könne nur Totes kaufen, werde ums Urerlebnis betrogen, mit noch lebender Beute
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