Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition)
Blickkontakt zu haben, sei der Natur entfremdet usw.), hat überhaupt kein Problem damit, seine Begeisterung für technischen Fortschritt und Komfort mit einem Bekenntnis zum rustikalen Leben in Einklang zu bringen. Wenn zum Beispiel seine Villa in Chiatri nur über einen Maultierpfad erreichbar ist und er beim zuständigen Gemeinderat den Bau einer Straße fordert, geschieht dies in der Hauptsache deshalb, weil er inzwischen vermeiden möchte, auf einem Maultier fotografiert zu werden.
Ist noch was? Er sieht auf. Doria lächelt schüchtern, wendet sich dann ab und beginnt mit einem wollenen Tuch die Möbel vom Staub zu befreien.
Er vertieft sich in ein neues Buch, Ramuntcho, von Pierre Loti. Es taugt nicht für seine Zwecke. Sybil hat ihm Enoch Arden von Tennyson mitgegeben. Zu harmlos. Daraus könne man vielleicht ein Melodram für Sprecher und Klavier basteln, mehr sicher nicht.
Vor Giacomo liegt ein ganzer Haufen abzuarbeitender Manuskripte. Das endlich fertig gewordene Libretto zur Marie Antoinette interessiert ihn nicht ernsthaft; ohne nähere Angabe von Gründen teilt er seinem Freund Illica mit, das Projekt sei für ihn endgültig gestorben. Dem Dichter Valentino Soldani, der zwischendurch voll heiligem Eifer am Textbuch für eine Oper namens Margherita di Cortona gearbeitet hat, schreibt er mit wenigen Sätzen, daraus werde nun doch nichts. Leider, schade, scusi.
Dem alten Ricordi, der ihm zwischenzeitlich noch den Vorschlag Wilhelm Tell gemacht hat, vergeblich, versteht sich, platzt nun der Kragen. Weil er aber wenig Hoffnung in eine Standpauke setzt, geht er einen subtileren Weg und vermittelt seinem schwierigen Genius den Kontakt zu Italiens berühmtestem und exaltiertestem Literaten, Gabriele D’Annunzio. Eine solche Zusammenarbeit wäre aufsehenerregend und von höchstem nationalem Interesse.
Giacosa hin, Illica her, und wie die anderen Namen alle lauteten, tapfere Handwerker, gewiß, aber nichts im Vergleich zu einem Fixstern wie D’Annunzio. Eine heilige Allianz der Künste würde das bedeuten. Zudem leide der luxusverliebte D’Annunzio gerade unter Geldknappheit und sei preiswert zu haben, Dutzende Schuldner säßen ihm enggedrängt im Nacken.
Die Idee ist nicht ganz neu. Schon im April 1900 war der begabte Poet, der mit einer Halbglatze herumläuft, damit man auch ja die bei einem Duell davongetragene Narbe sehen kann, als Librettist ins Gespräch gebracht worden. Puccini hatte Illica damals versichert, daß er mit D’Annunzio um alles Gold der Welt nichts im Sinn habe! Nun denkt er um.
Die beiden Künstler treffen sich in Florenz und zeigen sich voneinander beeindruckt. Giacomo stört es zwar, daß D’Annunzio mehr übers Finanzielle reden will als von irgendeinem konkreten Stoff, doch anderntags meldet er Giulio Ricordi, daß sie sich in den wesentlichen Fragen geeinigt hätten und eine national hochinteressante Zusammenarbeit bevorstehe. Im selben Brief erwähnt er aber, daß die Conchita nach dem Roman von Louys noch immer nicht vom Tisch sei. Die Geschichte, obwohl von Sybil mit wenigen Worten zu Recht als opernuntauglich abgefertigt, beschäftigt ihn weiterhin, zu sehr deckt sie sich mit eigenen Erfahrungen. Eine noch sehr junge Frau, eine Demi-Vièrge, die es faustdick hinter den Ohren hat, führt den in sie verliebten, um mehr als zwanzig Jahre älteren Mann an der Nase herum – zu diesem Thema würde ihm etliches einfallen. Er könnte seine Sicht der Affäre mit Cori als Inspirationsquelle nutzen. Nebenfiguren, selbst wo sie an den Haaren herbeigeschleift werden müßten, könnten ja hinzuerfunden werden – wozu seien Autoren schließlich da? Er bittet den entnervten Ricordi darum, doch bitte einmal die Rechtslage zu klären und mit Louys einen Vorvertrag zu fixieren.
Am 22. Dezember, seinem Geburtstag, um den er nie viel Aufhebens macht, fahren Giacomo und Elvira in die Mailänder Wohnung, um mit Antonio (er hat am 23. Dezember Geburtstag) und Fosca in familiärer Eintracht Wiegenfeste und Weihnachten zu feiern. Während der Fahrt erwähnt er en passant die Möglichkeit, daß Doria sie doch irgendwann einmal dorthin begleiten könne, als Haushilfe. Elvira findet, das sei bei so einer kleinen Wohnung weiß Gott nicht vonnöten, die hiesige Putzkraft sei ausreichend, und essen würde man meistens im Restaurant. Giacomo schmollt. Die Wohnung ist so klein nun auch wieder nicht. Fünf Zimmer, beste Lage, zweihundert Meter von der Scala entfernt.
5
1906
wird erst mal ein
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