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Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition)

Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition)

Titel: Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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neues (das achte) Automobil gekauft, dem man sich nun schon auf weiteren Strecken anvertrauen kann. Es ist ein grüner La Buire (40  PS ) für 15.000 Francs. Das Ehepaar Puccini (mit Chauffeur; GP setzt sich selten selbst ans Steuer, höchstens für kurze Strecken und tagsüber) fährt damit Anfang März an der Küste entlang bis nach Nizza, wo man die Seligmans trifft, das heißt: Sybil und ihren zehnjährigen Sohn Vincent, die dort Urlaub machen. (Der dreizehnjährige Esmond ist in London beim Vater geblieben.) Man wohnt in benachbarten Hotels. Elviras Bedenken werden zerstreut, sie war sich bislang nicht hundertprozentig sicher gewesen, ob das Verhältnis zwischen Sybil und ihrem Topico wirklich allein auf Freundschaft beruht. Die Natürlichkeit, mit der Sybil ihr begegnet, entwaffnet sie. Zudem weiß sie aus Erfahrung, daß Frauen mit Kindern nur selten Anziehungskraft auf Giacomo besitzen.
    Tatsächlich bleibt die Form in jedem Augenblick gewahrt, es gibt auch keine heimlichen Treffen, man genießt drei Wochen lang den Frühling an der Riviera, geht ins Casino, in die Theater, in die Oper.
    Cher Maître , beginnt Sybil während jener Jahre ihre Briefe, die sie bevorzugt auf französisch schreibt. Deren übertriebene Förmlichkeit jeden Verdacht im Keim ersticken soll.
    Nachts, bevor Sybil schlafengeht, klopft regelmäßig ein Page an ihre Tür und bringt eines jener Billets, die Puccini in einem unbeobachteten Moment hingekritzelt hat, schwärmerische Petitessen, immer so abgefasst, daß sie, wenn sie in falsche Hände gerieten, gerade noch vertretbar wären. Ihre Vielzahl allein stellt bereits eine Liebeserklärung dar.
    Der eigentliche Zweck der Reise wird erfüllt. Elvira sollte demonstriert werden, daß sie von der Britin nichts, aber auch gar nichts zu befürchten hat. Hat sie schließlich auch nicht. Elvira ist es relativ egal, wie tief Giacomos Empfindungen Sybil gegenüber gehen. Solange die beiden keine Körperflüssigkeiten vermengen, ist für sie alles in Ordnung.
    Elvira schließt mit Sybil sogar Freundschaft, beide schreiben einander in den nächsten Jahren regelmäßig und in herzlichem Ton.
    Giacomo zeigt sich sehr erleichtert, ist ausnahmsweise wochenlang bester Laune, aber der Lösung des großen Rätsels Frau , das er sein ganzes Leben lang zu ergründen versucht, kommt er nicht näher.
    Antonio, der nicht anders als etwa Doria Manfredi die scuola elementare in Torre del Lago besucht hat, war danach Schüler in mehreren Internaten, bis er im schweizerischen St. Gallen, im »Institut Dr. Schmidt«, eine Art Mittelschulabschluß zustande brachte. Seine Begeisterung für Mechanik führt dazu, daß sein Vater ihm einen Ausbildungsplatz im Technikum Mittweida bei Dresden besorgt.
    Am 14. Oktober 1905 kommt Antonio in Mittweida an. Seine Deutschkenntnisse machen nicht allzuviel her, erlauben ihm aber, dem Unterricht einigermaßen zu folgen.
    Das Technikum, 1867 mit der bescheidenen Zahl von 17 Schülern und drei Lehrern gegründet, hat in den folgenden Jahren sehr schnell an Größe und Ansehen gewonnen. Es bildete zunächst nur zum »Maschinen-Ingenieur« aus, später auch zum »Elektro-Ingenieur«, also in den Bereichen Elektrotechnik und Maschinenbau. Von Anfang an ist der theoretische Unterricht mit praxisnaher Ausbildung verbunden (auch ist ein Praxisjahr vor oder während des Studiums vorgeschrieben). Unter seinen Absolventen finden sich manche später bekannte Namen, so August Horch und Fritz Opel, Leiter der gleichnamigen Autofabriken, Walter Bruch, Erfinder des PAL -Farbfernsehens, der Keksfabrikant Hans Bahlsen, der Hamburger Kunstmäzen Kurt August Körber, der spätere Bundestagspräsident Richard Stücklen. Als sich Antonio einschreibt, hat das längst etablierte Institut etwa 1500 Studenten, fast die Hälfte davon aus dem Ausland. Am stärksten vertreten sind Rußland und Österreich-Ungarn, nur 17 Studenten stammen aus Italien. Dennoch gibt es unter den zahlreichen Studentenverbindungen auch eine italienische. Das Ausbildungsprogramm ist anspruchsvoll, nicht zuletzt zeitlich: Fünf Semester lang, die von Oktober bis März beziehungsweise von April bis September dauern, sind 40 bis 50 Wochenstunden zu absolvieren, nach zwei Semestern steht die erste Vorprüfung an, nach dem dritten und vierten Semester die zweigeteilte zweite Vorprüfung, nach dem fünften Semester die Hauptprüfung. Von Anfang an läßt sich Giacomo über die Fortschritte seines Sohnes penibel genau

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