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Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition)

Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition)

Titel: Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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bereit, Ihnen immer nach Verlauf von je 4 Unterrichtswochen einen kurzen Bericht über den Stundenbesuch Ihres Sohnes, woraus Sie dann leicht einen Schluß auf seinen Fleiß ziehen können, zuzusenden.
    Hochachtungsvoll
    Die Direktion

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    Am 15. April treffen sich im Mailänder Hotel »Della Ferrata« Puccini, Giulio Ricordi, D’Annunzio und etliche Freunde und Verwandte, um den Vertrag zu feiern, demzufolge der Dichter bis zum 31. Mai einen Entwurf vorlegen soll, um danach in spätestens sechs Monaten ein mindestens dreiaktiges Libretto zu schreiben. Dafür soll er 20.000 Lire und 20 Prozent der Tantiemen erhalten, zudem 15 Prozent aus dem Textbuch-Verkauf. Für den gerade klammen Poeten eine mehr als lukrative Regelung. Puccini fährt Anfang Mai weiter nach Budapest, wo in einer Art Festwoche seine drei jüngsten Opern gegeben werden, mit riesigem Erfolg. Ein von ihm sehr geschätzter junger ungarischer Musiker und Komponist namens Ervin Lendvai, mit dem er seit Jahren Briefkontakt pflegt, zeigt ihm die Stadt und stellt ihm seine neunzehnjährige Schwester Blanka vor. Es kommt zu einer kurzen, heftigen Affäre, hinter dem Rücken Ervins, der später aus voller Überzeugung heraus behaupten wird, zwischen seiner Schwester und dem Maestro sei niemals etwas Unschickliches vorgefallen. Und wirklich handelt es sich ja nur um ein kurzes Intermezzo der üblichen Art, immerhin das erste (von der einen Nacht mit Sybil abgesehen) nennenswerte seit dem Autounfall. Giacomo gewinnt neues Selbstvertrauen in seine Männlichkeit.
    Am 16. Mai wird in Graz, ein knappes halbes Jahr nach ihrer sensationell erfolgreichen Premiere in Dresden, die Oper Salome erstaufgeführt, von Richard Strauss persönlich dirigiert. Plötzlich hat Puccini, der der Aufführung beiwohnt, einen Konkurrenten, einen ernsthaften Konkurrenten unter all den Eintagsfliegen und Halbtalenten. Im Publikum ist viel musikalische Prominenz versammelt. Der Wiener Hofoperndirektor Gustav Mahler, Max Reger, Max von Schillings – und ein paar angeblich begabte österreichische Jungkomponisten sind auch da: Schönberg, Zemlinsky und Alban Berg. Puccinis Urteil über die Salome schwankt, er findet es ein sehr interessantes Schauspiel mit den herrlichsten kakophonischen Sensationen , aber auch ein wenig langweilig gegen Ende. Dennoch begreift er sofort, daß hier etwas Großes, Bahnbrechendes vorgeht, und er wird zeit seines Lebens jede Gelegenheit nutzen, dieses Werk wieder und wieder zu hören.
    Von Graz aus geht es weiter nach London, wo La Bohème, Tosca und Madama Butterfly auf dem Spielplan stehen, alle mit Enrico Caruso, dem frisch gekürten Star der Saison. Jede Vorstellung ist ausverkauft.
    Ich bin hier das Idol, schreibt er an Elvira, sie könne sich nicht vorstellen, welchen Enthusiasmus es vor Ort für seine Musik gebe. Seine verletzte Seele gesunde langsam.
    Natürlich ist die Musik nur der zweitbeste Grund für die Reise, hauptsächlich ist er hier, um wieder die Seligmans im allgemeinen – und Sybil im besonderen zu treffen. Sie turteln, soweit es einer Mutter ihre Zeit und die Konvention erlauben; sie gehen zusammen in Cafés und Theater, spazieren durch Kunstausstellungen. Zu ihm ins Hotel kommen will sie nicht.
    Sie bietet ihm aber an, in ihrem Haus in 7, Grosvenor Street zu wohnen, will sogar einen Koch einstellen, der auf zuckerarme Speisen spezialisiert ist, wegen Giacomos Diabetes. (Das Insulin ist noch nicht erfunden.) Er lehnt ab, größtenteils aus Rücksicht auf David.
    Dennoch ist die Beziehung zwischen Sybil und Giacomo unter der Oberfläche noch alles andere als zur Ruhe gebracht.
    Er fragt sie, ob sie sich ein anderes Leben vorstellen könne, mit ihm, vorausgesetzt, daß ihre Kinder nicht wären.
    Wozu denn? Es ist doch alles schön so, wie es ist. Und die Kinder sind nun mal da.
    Ja, schon, aber – rein theoretisch …
    Ich weiß nicht, Giacomo, ob wir beide alltagstauglich wären. Glaubst du?
    Er greift nach ihrer Hand, nickt heftig, er sei wandlungsfähig, Kinder hin oder her. Sybil weiß nicht recht, was das soll. Will er von ihr hören, daß sie ihn begehrt? Will er hören, daß sie am Ende unter der Situation leidet ? Will er sie unter ihrer Situation erst leiden machen ? Soll sie ihm etwas vorlügen? Was sagt er da, wenn er Kinder hin oder her sagt? Erwägt er allen Ernstes, er, ein verheirateter katholischer Mann, sich mit ihr, einer verheirateten jüdischen Mutter von zwei unmündigen Söhnen, zu verbinden? Nein, so verrückt

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