Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition)
kann er nicht sein. Ihm ist nur um verbale Nähe, um große Gefühle – und um den großen Konjunktiv zu tun. Es scheint ihr, als fühle sich Giacomo mit diesem einen Leben nicht ausgelastet und müsse sich parallele Leben herbeiphantasieren. Spät erkennt sie, für wie sehr unter seinen Möglichkeiten geblieben er sich hält. Und beginnt zu ahnen, daß seine ins Groteske mündende Jagd nach einem neuen Stoff einer tiefen Angst entspringt, musikalisch nichts Neues zu sagen zu haben. Spätestens, als er ihr von der Salome erzählt, dem ersten Werk, das seine eigenen an Modernität deutlich in den Schatten stellt, begreift sie Giacomos Krise, die Verunsicherung seiner künstlerischen Identität. Soll sie sich ihm deswegen hingeben? Eine Komödie spielen zur Aufheiterung des taumelnden Seelchens? Kurz denkt sie daran und bleibt sich doch treu. Statt dessen kommt sie ihm auf andere Art entgegen, indem sie ihren Gefühlen für ihn einen neuen Rahmen verleiht. Fast mütterlich wird sie ihn fortan behandeln oder wie eine große Schwester, zärtlich, aber ohne jeden erotischen Impetus. Giacomo, der am verfrühten Tod seiner Mutter jahrzehntelang gelitten hat, fügt sich in die stillschweigend getroffene Vereinbarung.
Es gibt noch einen weiteren, sehr verfrühten Tod in seiner Biographie. Als er elf war, starb seine jüngste Schwester Macrina, mit nur sieben Jahren. Diese gewiß traumatische Erfahrung ist keinem Puccini-Biographen mehr als nur einen Satz wert gewesen. Das gruselig-sakrale Bild des im weißen Kleid aufgebahrten Nesthäkchens hat er vermutlich längst verdrängt, unterbewußt jedoch hat es ihn über lange Zeit verfolgt und bei der Wahl seiner Opernstoffe beeinflußt. Cori, was ihm nur einfällt, wenn er zuviel getrunken hat, sah der toten Schwester entfernt ähnlich.
Caruso, der von ihm so geschätzte Sänger, wird bald schon zu einem der besten, intimsten Freunde Sybils. Kurz reagiert der Komponist eifersüchtig, Sybil beschwichtigt ihn – da sei nichts, weswegen er sich Gedanken machen müsse, Enrico übe physische Anziehungskraft einzig über seine Stimme aus. Also akustisch, ausschließlich akustisch – visuell ganz und gar nicht. Das könne er doch sicher nachvollziehen?
Giacomo zieht aus der Botschaft den Schluß, er – im Gegensatz zu Caruso – sei keine rein akustische Attraktion. Das nachzuvollziehen fällt ihm dann eher leicht.
Für den Sommer lädt er die Seligmans zu sich in die Toskana ein. Bei seiner Abreise begleitet Sybil ihn bis zur Kanalfähre und schickt ihm reichlich Geschenke hinterher, darunter auch ein Kissen für Elvira. Sie weiß immer, was sich gehört, ist eine Meisterin der Kunst, heikle Konstellationen von vornherein zu entspannen. Auf Jahre hinaus versorgt sie Giacomo kistenweise mit Zigaretten der Marke Abdulla , die er fortan bevorzugt raucht (neben der alten Marke mit dem frechen Namen Sanitas ). Sybils Großvater hat die Tabakfirma gegründet, die die Abdulla-Zigaretten produziert.
Aufgrund der Vielzahl seiner eigenen Affären nimmt David Seligman die Beziehung seiner Frau zu Puccini stillschweigend hin, was jedoch nicht bedeutet, daß er sie auch gutheißt. Anfangs kann er sich nicht dazu durchringen, den Komponisten zu mögen, auch wenn er es mit äußerster Höflichkeit vorgibt. Das Thema ist in der Familie tabu. Nur Sybils Mutter, Zillah Beddington, läßt ab und an ein spitzes Wort fallen, das Davids wahre Gefühle andeutet. Dies wird in der Familie aber diskret übergangen, schon um Sybils greisen Vater, den steinreichen wie streng religiösen Samuel Beddington, nicht zu irritieren.
David Seligman, der sich zwischendurch ernsthaft Sorgen um seine Gattin gemacht hatte, schließlich sei in der Weltgeschichte schon etliches Undenkbare Wirklichkeit geworden, erkundigt sich bei Sybil, ob alles derart geregelt sei, daß jeder beruhigt damit leben könne.
So sei es, antwortet sie ihm lächelnd. Jede Sorge sei unbegründet.
David, ein innerlich sensibler, äußerlich stämmiger Mensch mit fleischigem Gesicht und breitem blondem Schnauzbart – vertraut seiner Frau, entspannt sich und wird in den nächsten Monaten, peu à peu, tatsächlich zu Puccinis Freund. Seine englischen Übersetzungen von Giacomos gelegentlichen Reimgedichten kann man wenn nicht gerade kongenial, so doch kunstvoll nennen.
Zu Hause in Torre angekommen, sieht sich Puccini mit D’Annunzios Forderung nach einem Vorschuß konfrontiert. Der Großpoet möchte die 20.000 Lire ausbezahlt bekommen, noch
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