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Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition)

Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition)

Titel: Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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Bondi, 31. August 1906
    Meine Kontakte zum Lucchesischen Meister sind unfruchtbar gewesen. Er fürchtet sich vor der Übermacht der Poesie. Zwei ausgezeichnete Stoffe – Parisina und La Rosa di Cipro – fand er zu großartig für sich. Schließlich gestand er mir, er brauche eher »eine kleine, leichte Sache, die er in ein paar Monaten, zwischen der einen Reise und der anderen, komponieren könnte.« Und dafür wendet er sich an den Dichter der Francesca da Rimini !
    Puccini unterdes hat Ärger.
    Elvira hat alle Briefe gelesen, die Blanka Lendvai ihrem Kurzzeitgeliebten geschrieben hat, heftiger Nachhall einer von seiten Giacomos fast schon vergessenen Episode. Deshalb tut er zwar verletzt, als Elvira die Briefe zerreißt und im Garten verbrennt – was würden denn Briefe beweisen, er bekomme täglich Briefe aus aller Herren Länder, von allen Sorten Frauen, Liebesbezeugungen bis hin zu offen obszönen Angeboten (mit beigelegten Fotografien!) – wenn er, argumentiert er drastisch, das alles gefickt hätte, was sich ihm da offeriere, käme das einem biblischen Wunder, einer Speisung der Tausend gleich. Andererseits ist ihm die Angelegenheit zu unwichtig, und gnädig verzeiht er Elvira den Bruch seiner Intimsphäre. Elvira tobt. Will nicht, daß ihr verziehen wird, das stehe umgekehrt ihr zu.
    Bitte sehr, dann eben so. Giacomo entschuldigt sich dafür, daß er Briefe bekommt, sofern dann endlich Ruhe herrscht. Elvira weiß nicht mehr, was sie sagen soll, und sagt nichts mehr, was sie als Niederlage empfindet. Das sagt sie dann doch.
    Sieg und Niederlage! Giacomo klagt, daß sie über ihre Ehe wie über ein Schlachtfeld voller Leichen rede. Furchtbar sei das. Er habe sich um wichtige Dinge zu kümmern. In Paris werde bald die Butterfly erstaufgeführt; Albert Carré, der Direktor der Opéra Comique, fordere aber erhebliche Kürzungen und Änderungen. Das seien so die Probleme, mit denen er sich herumschlage. Elvira gibt keine Ruhe. Dauernd rede er nur von seinen Problemen. Er sei berühmt, wenn er nicht wolle, daß eine gekürzte Butterfly aufgeführt wird, solle er schlicht nein sagen. Von solchen Dingen verstehe sie nichts, gibt er zur Antwort, fährt nach Paris und wird sich mit Carré, dessen Kürzungsvorschläge ganz vernünftig klingen, innerhalb eines Tages einig. Der Rest des kurzen Aufenthalts besteht in Freizeit. Mehrmals trifft er sich mit Louys und Vaucaire, und es scheint, als nehme La Conchita konkrete Züge an. Dann muß er zurück nach Torre del Lago, denn die Seligmans treffen in Kürze ein, diesmal die gesamte Familie. Für fast zwei Monate, den August und den September über, werden sie seine Gäste sein, und er will sich nicht nur um sie kümmern, er möchte gehörig Eindruck machen. Nicht nur Sybil, auch der reiche Bankier an ihrer Seite soll alle Besitztümer Puccinis kennenlernen. Eigentlich, leider, kann er die Gäste gerade nicht brauchen, denn Vaucaire schickt erste, vielversprechende Entwürfe, und nichts würde Giacomo lieber tun, als endlich wieder zu komponieren. Die Situation ist eigenartig. Davids Anwesenheit macht das meist harmlose, dann wieder delikate Spiel, das Giacomo und Sybil so gerne betreiben, unmöglich. Er kann ihr keine Billets senden, muß förmlich tun, das alles deprimiert ihn. Oft beruft er sich auf Augenschmerzen, um der Geliebten aus dem Weg zu gehen. Zu allem Trubel kommt auch noch Fosca zu Besuch. Sie, die Stieftochter, zieht er dem Sohn Antonio so offensichtlich vor, daß stets Gerüchte schwelen, sie sei in Wahrheit seine leibliche Tochter gewesen. Was allerdings nicht stimmt. Er sieht in Fosca einfach nur eine verjüngte – und viel liebenswürdigere – Ausgabe ihrer Mutter, der sie in jungen Jahren wie aus dem Gesicht geschnitten ähnelt.
    Am 1. September, als habe er es boshaft darauf angelegt, stirbt Giacosa.
    Puccini ist schwer erschüttert und verfaßt für die Zeitschrift La Lettura einen sechs Zeilen langen, merkwürdig kühlen Nachruf. Darin heißt es, beider Zusammenarbeit sei die ruhigste und friedlichste gewesen, nie habe auch nur die kleinste Wolke das Verhältnis getrübt.
    Den Seligmans zeigt er seine Anwesen in Boscolungo-Abetone, Chiatri und Torre del Lago.
    Doria ist mit von der (Land-)Partie, bedient die Puccinis und deren Gäste wie immer vorbildlich. Puccini fühlt sich beengt, findet kaum Gelegenheit, mit Sybil all jenes zu besprechen, was ihm auf dem Herzen liegt, muß streng darauf achten, den Aufenthalt möglichst unverfänglich zu

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