Die Klimaprioritaeten
Lebenswelt einzustellen.
Arme Länder sind bereits vom Klimawandel am härtesten betroffen, und sie sind auch am wenigsten in der Lage, sich umzustellen. Die Industriestaaten müssen darum mit Geld und Technologietransfer helfen, damit Entwicklungsländer nicht zu doppelten Verlierern werden.
Ein Exportschlager der Zukunft wird Wasserbau sein. Wer solide Deiche errichten kann, Wehre, Schleusen und schwimmende Häuser, ist gefragt. Im Überleben mit dem nassen Element sind die Holländer Weltmeister.
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Marcel Marchand ist Fachmann für das Trockenlegen. Für den Schutz von Küstenregionen und Flussmündungen. Er arbeitet für Delft Hydraulics, einem der international renommiertesten Institute für Wasserbau mit Sitz in den Niederlanden. Seit Jahren reist er um die Welt, hilft in Ländern wie Indien und Vietnam beim endlosen Ringen mit dem Wasser. »Der Kampf gegen die See ist in unseren Adern. Wir mussten uns organisieren, auf eine fast militärische Weise, um diesen Sumpf hier, diese Überschwemmungsgebiete lebenswert zu machen, vor allem im Westen Hollands«, erzählt er. »Nun geben wir unser Wissen weiter.«
Marchand ist gerade aus dem Mekongdelta in Vietnam zurückgekehrt, wo er beim Deichbau assistiert, und sitzt noch etwas flugmüde in seinem Büro in Delft, dieser beschaulichen holländischen Bilderbuchstadt, errichtet an einer künstlichen Wasserstraße. Delft war die Heimat von Niklaas Samuel Cruquius |120| , dem niederländischen
Wasserbauingenieur und Meteorologen, der bereits 1705 mit Wetteraufzeichnungen begann, weil er überzeugt war, sie könnten helfen, das Land besser gegen Stürme und die anschwellende See zu wappnen, und der damals schon vorschlug, das größer werdende Haarlemmermeer einzupoldern und trockenzulegen, da es die Städte Amsterdam und Haarlem bedrohte – was 100 Jahre später dann tatsächlich geschah.
Das Institut liegt in einem von Kanälen durchzogenen Gewerbegebiet am Stadtrand auf einer Insel. In einer nahen Baugrube steht das Wasser, Rammböcke treiben Betonpfähle tief in den nassen Boden. Riesige Hallen zeugen noch von der Zeit zwischen den zwanziger und achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts, als man für den Deichbau die holländische Landschaft nachmodellierte, Wasserläufe und Küstenlinien erkundete und Hochwassersituationen simulierte. Heute sind die Modelle aus Gips, Holz und Pappe längst durch Computerprogramme
ersetzt. »Jeder Quadratmeter holländische Erde ist hier bestimmt schon untersucht und auf seine Wassereigenschaften
analysiert worden«, scherzt Marchand.
Seit Jahren simulieren er und seine Kollegen die Auswirkungen des Klimawandels, vor allem was einen zu erwartenden Meeresspiegelanstieg betrifft. »Wir hier in Holland sind vorbereitet. In dieser Hinsicht ist der Klimawandel für uns kein ernsthaftes Problem, weder technisch noch finanziell«, sagt Marchand sehr zuversichtlich. Sich darauf einzustellen, hat eine Studie von Delft Hydraulics berechnet, würde etwa 0,1 Prozent des Bruttoinlandsproduktes der Niederlande kosten. Mit einer Einschränkung: Solange es sich um einen
Meeresspiegelanstieg
von einem Meter handelt. Mehr als zwei Meter würden auch für Holland kritisch, räumt er ein. Doch solch ein dramatisches Anschwellen hält Marchand für unwahrscheinlich.
|121| Trotz der optimistischen Prognose müsse natürlich auch Holland seine eigenen Ressourcen klug verwalten. Das Land müsse für die Zukunft die strategische Frage beantworten, ob es sich wie bislang darauf konzentriert, den feuchten Westen mit seinen urbanen Zentren zu entwickeln, oder ob es nicht besser langsam auf den trockeneren Osten umschwenkt. Zumal die Regierung in Den Haag mittlerweile das Motto »Raum für den Fluss« ausgegeben habe, das Flüssen eine Art
Überschwemmungsrecht
und damit -gebiet zugesteht. Wie schwer es allerdings ist, solche Planspiele in die Praxis umzusetzen, erklärt Marchand am Beispiel von einigen Bauernhöfen, die in einem ausgewiesenen Überflutungsgebiet im Südwesten nahe der Stadt Dordrecht liegen. Sollen sie bleiben oder weichen und wenn ja, unter welchen Bedingungen? Nach langem Streit mit den Behörden entschieden sich die Beteiligten, dass die Bauern bleiben dürfen, doch ihre Häuser auf einen höheren, für die Fluten hoffentlich unerreichbaren Sockel stellen müssen.
Neben Aufträgen für die heimische Regierung und die Gemeinden stellt Delft Hydraulics seine Expertise auch in den Dienst ausländischer Regierungen und
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