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Die Klimaprioritaeten

Titel: Die Klimaprioritaeten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Streck
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können vor diesem Hintergrund nicht als überzogen betrachtet werden.
    Nigel Lawson, Großbritanniens ehemaliger Finanzminister, versucht darum in seinem Buch An Appeal to Reason: A Cool Look at Global Warming einen Schuss Gelassenheit in die oft aufgeregte Klimadebatte zu bringen. Sollte die globale Temperatur über die nächsten 100 Jahre um 4 Grad Celsius ansteigen, wird dies, um sich anzupassen, wahrscheinlich zwischen 1 und 5 Prozent des Welt-Bruttoinlandsprodukts kosten, in
Entwicklungsländern
sicher mehr. Angenommen, der Verlust in der
Entwicklungsländern
würde 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen, dann – legt man die Wachstumsaussichten des IPCC zugrunde, auf welchen die Emissionsprognosen basieren – würde dies bedeuten, dass es im Jahre 2100 den Menschen in
Entwicklungsländern
anstatt zehnmal besser nur achtmal besser gehen würde als heute. Lawsons Botschaft: Bitte keine Panik, dem Klimawandel können wir trotzen. Vorausgesetzt, die anvisierten Summen werden auch tatsächlich investiert, vorausgesetzt, wir wirtschaften nachhaltiger und die Politik stellt die richtigen Weichen.
    Apropos nachhaltig. Ein kurzes Wort zu diesem Überwort. Außerdem ein sehr strapazierter Begriff. Jedes Unternehmen nutzt ihn, jeder Politiker, jeder Forscher, jeder Banker, jedes Strategiepapier, dieses Buch. Alle wollen nur noch nachhaltig. Nachhaltiger Tourismus, nachhaltiges Bauen, nachhaltige Landwirtschaft. Es gibt eine ökologische, ökonomische und soziale Nachhaltigkeit, am besten natürlich alle drei verknüpft. Doch was heißt das, abgesehen von der einschlägigen Definition, die Bedürfnisse der gegenwärtigen Generationen zu befriedigen, ohne die Lebensgrundlagen zukünftiger Generationen |184| zu gefährden, die dauerhafte Existenz der Menschheit und notwendigen Ökosysteme zu sichern?
    Kernenergie, Kohle, Fliegen, Plasteverpackungen, Massentourismus und Las Vegas sind es in den Augen vieler nicht. Mit Kernenergie riskieren wir Verstrahlung, schonen aber das Klima. Kohle heizt – noch – die Erde auf, hilft aber
Volkswirtschaften
, sich zu modernisieren. Staudämme zerstören Landschaften, liefern aber zuverlässig und unabhängig erneuerbare Energie. Was ist nachhaltiger, in teuren
Hightech-Niedrigenergie-Siedlungen
am Stadtrand leben, mit dem Auto ins Büro und in den Supermarkt fahren oder in einem alten Hochhaus in der City, wo sich alles zu Fuß erledigen lässt? Sind eingepackte Äpfel im Geschäft nachhaltiger als lose? Eine Studie der britischen Kaufhauskette Marks & Spencer fand heraus, dass vier Äpfel auf einer Pappunterlage verschlossen mit Folie 27 Prozent weniger Verpackungsmaterial benötigten als lose Äpfel, die von einem Karton in den nächsten umgepackt werden müssen. Ist es nachhaltig, wenn Deutschland für seine Müllverbrennungsanlagen Abfall importiert, der ansonsten in Neapel auf den Straßen und in Russland auf maroden Deponien verrotten und dort Böden wie Grundwasser gefährden würde? Was heißt nachhaltig für einen Bauern in Mali und einen Banker an der Wallstreet? Und wie nachhaltig ist ein effizientes, aber ungemütliches Öko-Haus, aus dem die Bewohner nach drei Jahren wieder ausziehen? Man kann Emissionen messen, aber nicht Glück.
    Wir beginnen erst zu verstehen, wie nachhaltiges Leben aussehen könnte.
     
    *
     
    Wenn Ende 2009 bei der UN-Klimakonferenz in Kopenhagen wieder 10 000 Teilnehmer über Nachhaltigkeit reden und es |185| darum geht, ein Nachfolgeabkommen zum Kyoto-Protokoll zu verhandeln, werden wir das nachhaltig bekannte Tauziehen über die alten Positionen zwischen den reichen und den aufstrebenden
Industriestaaten wie Entwicklungsländern
erleben. Die Europäer wollen strenge verbindliche Emissionsziele. Die USA, im Gespann mit Australien und Japan, wollen bisher keine Verpflichtungen und nur mitmachen, wenn die
Industriegiganten
von morgen, China, Indien und Brasilien, dabei sind. Diese wiederum wollen sich nicht in die Pflicht nehmen lassen und verweisen auf die historische Erblast der Europäer und Amerikaner.
    Brasilien, Indonesien und Papua-Neuguinea wollen, dass die reichen Länder für Waldschutz bezahlen. Indien wird sich weiterhin auf das Unterentwicklungsargument berufen und darum einen Freifahrtsschein für den Ausstoß von Treibhausgasen verlangen. Die G8-Staaten sind sich auch nicht grün, müssen sich eigentlich zu weitreichenden Reduktionszielen durchringen und gleichzeitig versuchen, die anderen davon zu überzeugen, dass

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