Die Klinge des Löwen 01
zur Ruhe.
„ Euer
Schwager, Max von Ortenburg, erwartet von mir, daß ich seinen
Auftrag ausführe“, sagte er langsam und jedes Wort
betonend. „Er hätte kein Verständnis dafür, wenn
ich mich hier in der Burg mit meinen Schützlingen verkröche
und damit die Gefahr, die ihnen auf der Ortenburg droht, lediglich an
einen anderen Ort verlagern würde.“
„ Wie
meint Ihr das?“ fragte Elisabeth kurz angebunden. Es schien ihr
schwerzufallen, ihren Unmut über diesen überraschenden
Widerstand zu verbergen.
„ Ich
denke, nachdem ein Teil der Geroldsecker Streitmacht uns schon einmal
den Zugang zur Burg Husen verwehren wollte und zudem vorhatte, Gräfin
Ida und den Knaben als Geiseln zu nehmen, kann das Kriegsvolk erneut
auftauchen. Sie wissen ja offenbar, wo wir zu finden sind, sonst
hätten sie wohl kaum versucht, uns bei der Fähre
abzufangen.“
„ Nun
ja, nun ja“, mischte Werner von Husen sich in dem ihm eigenen
beschwichtigenden Ton ein, während er sich krampfhaft bemühte,
seine alkoholschwere Zunge nicht stolpern zu lassen. „Das
Scharmützel mit dem Geroldsecker ist vorbei. Ich sehe da keine
Gefahr mehr. Hierher kommt keiner von denen.“
Zu
allem Überfluß schlug sich nun auch Bruder Ambrosius auf
die Seite von Elisabeth. Der Mangel an alkoholischem Nachschub hatte
ihn sehr verdrossen. Angesichts des Rededuells zwischen Elisabeth und
Dietrich sah er nicht ganz zu Unrecht die Ursache für den Mangel
bei Dietrich. Impulsiv beugte er sich über die Tafel und rief
dem jungen Ritter recht laut zu: „Hol's der...der Kuckuck, Herr
Dietrich! Ihr solltet auch bedenken, daß Euer Entschluß,
die vermaledeite Reise fortzusetzen, den Geroldsecker veranlassen
würde, die verlockende Gelegenheit zu einer erneuten Attacke zu
nutzen!“
Erschöpft,
aber zufrieden, ließ sich der Kirchenmann auf seinen Platz
zurücksinken. Nicht nur, daß es ihm gelungen war, die
verflixte Teufelsklippe zu vermeiden; er hatte es auch
fertiggebracht, trotz alkoholischer Behinderung seine Meinung in
einem einzigen und momentan für ihn schwierigen Satz zu
verkünden.
„ So
ist es, so ist es“, pflichtete Werner von Husen seinem Bruder
im Weingeiste zu. „Ach Gott, und wenn ich denke, wie gefährlich
es in den Wäldern ist, die Ida und Klein-Bernhard durchqueren
müßten! Nein, nein, sie sollen nur dableiben!“
Dietrich
sah seine Felle davonschwimmen. Ida warf ihm einen fragenden Blick
zu, und er glaubte, so etwas wie Bedauern in ihren Augen zu lesen.
Noch ehe er sich zu weiterem Widerspruch aufraffen konnte, begannen
sich jetzt auch die hinzugekommenen Kammerfrauen der Burgherrin
einzumischen.
„ Es
wird ja erzählt, daß in den Tiefen des Saumerlochs ein
Ungeheuer hausen soll, das jeden, der sich in die Wälder des
Reutengrunds wagt, anfällt und tötet!“
„ Es
wird sich wohl nur um einen Bären handeln“, warf
Waffenmeister Heinrich vom anderen Ende der Tafel in abfälligem
Ton ein, der zeigte, daß er nicht viel von solchen
Schauermärchen hielt.
„ O
nein“, rief eine andere dazwischen. „Mir wurde erzählt,
ein Köhler habe das Ungeheuer gesehen. Es sei ein riesiges Wesen
mit einem Stierleib, und mit langen Armen, weiß wie
ausgebleichte Knochen. Es könne einen Riesen umschlingen und
zerdrücken!“
„ Ammenmärchen“,
brummte Heinrich verächtlich.
„ Ha!
Bei dem Wort 'Köhler' fällt mir eine andere Geschichte
ein!“ fuhr jetzt der Mönch dazwischen und erhob sich halb
von seinem Sitz. „Es gibt in diesen Wäldern eine
Räuberbande. Sie wird von einem ehemaligen Köhler
angeführt.“ Er hielt inne und ließ seine Äuglein
listig über seine Zuhörer wandern, ob sie auch andächtig
zuhörten. „Jaja“, setzte er dann in dramatischem Ton
seine Rede fort, wobei er fleißig mit dem Kopf nickte. „Stellt
euch vor, diese ruchlosen Verbrecher überfallen und meucheln
Reisende, wie es ihnen gefällt! Auch wer in Gruppen reist, ist
vor ihnen nicht sicher. Die Bande soll über hundert Köpfe
zählen. Ja, da schon mancher sein Leben verkürzt, wenn er
eigentlich nur seinen Reiseweg abkürzen wollte, und
leichtsinnigerweise ihr Gebiet betrat.“
Nachdem
er die furchterregende Nachricht über die gebannt lauschenden
Tafelgäste hingestreut hatte, ließ er sich zurücksinken
und nickte gedankenschwer mit dem Kopf. Aber dabei blitzten hin und
wieder seine Augen über die Zuhörer hin, als wolle er sich
vergewissern, ob er auch allen einen tüchtigen Schreck versetzt
hatte.
„ Nun,
Herr Ritter, glaubt
Weitere Kostenlose Bücher