Die Klinge des Löwen 02
unvernünftig auf meiner Meinung beharrte, dem elenden
Tropf zu helfen, als er scheinheilig stöhnend am Boden lag?“
Dietrich
schüttelte lächelnd den Kopf. „Warum sollte ich Euch
zürnen? Ihr habt nichts Unrechtes getan, im Gegenteil. Euer
Wunsch, dem Kerl in seiner scheinbaren Not zu helfen, hat doch
gezeigt, daß Ihr ein mitfühlendes Herz habt.“
Sie
bedachte ihn mit einem so liebevollen Blick, daß ihn
unvermittelt ein Gefühl des Begehrens überkam. Ja, in
diesem Moment begehrte er sie und sah ihr unverwandt in die Augen. Er
bemühte sich, ihren Blick so lange wie möglich festzuhalten
- sie über ihm am Plateaurand kauernd, er unten auf dem
Waldboden stehend und den Kopf fordernd zu ihr erhoben. Zwei, drei
Herzschläge lang war es, als ob ihre Augenpaare sich aneinander
festgesaugt hätten, als ob deren Träger eins seien, ohne
sich zu berühren. Schließlich schlug Ida errötend die
Augen nieder und erhob sich, um sich zu ihrem Kind und der Zofe
zurückzuziehen.
Obwohl
es immer noch in feinen Fäden regnete, war der Wald erfüllt
von Vogelgezwitscher. Dietrich machte sich nun auf, um passende Äste
für ein Regendach aufzutreiben. Es tropfte von den Bäumen,
das Wasser lief ihm in den Nacken, während er im Jungholz nach
geeignetem Material suchte. Als er es endlich beisammen hatte, hörte
es auf zu regnen.
„ Na,
macht nichts“, sagte er, als er damit zurückkam. „Ein
Dach über dem Kopf kann man immer brauchen.“
Ida,
die sich mit Bertha eine Decke über den Kopf gezogen hatte, vor
allem, um auch den Knaben vor Nässe zu schützen, wickelte
sich daraus hervor. Sie erhob sich, um zu sehen, was Dietrich
herangeschleppt hatte.
„ Das
gibt einen vorzüglichen Regenschutz“, erklärte er,
nachdem er die dünnen Tannenäste mit dem dichten Gezweig
vor der Felsplattform aufgeschichtet hatte. Ida, die wieder an den
Felsenrand getreten war, sah nachdenklich zu ihm hinunter.
„ Dann
glaubt Ihr also, daß wir noch länger hier ausharren
müssen?“
Er
zuckte die Achseln. „Schwer zu sagen. Vielleicht taucht die
Verstärkung, die wir erwarten, schon bald auf. Aber wenn es
länger dauert, sollten wir uns unser Lager da oben so bequem wie
möglich machen. Dazu gehört eben auch eine Art Schutz gegen
den Regen. Ich überlege sogar, ob wir nicht ein Feuer entzünden
könnten, um unsere Kleidung schneller zu trocknen.“
„ Wäre
das klug? Dann sind wir doch weithin sichtbar.“
„ Das
schon, aber die Halunken, die es auf uns abgesehen haben, wissen ja
ohnehin, wo wir sind.“
Sie
antwortete nicht und sah ängstlich in die Runde, als erwarte sie
jeden Moment, von den Wegelagerern wieder angegriffen zu werden.
Dietrich, der ihren Blick gewahrte, lächelte.
„ Keine
Angst, Gräfin, die kommen so schnell nicht wieder, nicht bevor
sie mehr Komplizen zusammengetrommelt haben.“
„ Ich
verstehe Eure Zuversicht nicht“, entgegnete Ida mißmutig.
Ihre Laune schien sich von neuem zu verschlechtern. „Vielleicht
haben sie ihr Lager ganz in der Nähe!“
Ein
nachsichtiger Zug erschien auf Dietrichs Gesicht. „Unmöglich.“
Ida
wurde heftig. „Woher wollt Ihr denn das so genau wissen? Man
könnte gerade meinen, Ihr wüßtet über die Bande
Bescheid!“
„ Aber
liebe Gräfin“, sagte Dietrich in ruhigem Ton. „Überlegt
doch, zuerst tauchten zwei der Schurken auf. Als ich mich ihnen
entgegenstellte, suchten sie schleunigst das Weite, nicht wahr?“
„ Na,
und? Was hat das mit der Entfernung zu ihrem Lager zu tun?“
Dietrich
sah, wie sie kampflustig ihre Arme in die Seiten stemmte, und
unterdrückte ein Grinsen. „Sehr viel, Gräfin! Der
erste Angriff ereignete sich gestern nachmittag. Und wann tauchte der
jüngere jener beiden Halunken mit vier anderen Komplizen erneut
auf, um es zum zweitenmal zu versuchen?“
Ida
runzelte die Stirn und bedachte ihn mit einem schrägen Blick.
„Na, wenn Ihr den Burschen mit dem primitiven Lanzenersatz als
einen der beiden erkannt habt, wie Ihr sagtet, dann war das heute in
der Frühe, natürlich.“
„ Aha.
Das bedeutet, daß sie einen weiten Weg zurücklegen mußten,
denn sonst hätten sie uns höchstwahrscheinlich noch gestern
überfallen.“
„ Vielleicht
wollten sie sich erst einmal ausschlafen“, widersprach Ida
störrisch. Er bemerkte verblüfft, daß sie immer
zorniger zu werden schien.
„ Mitten
am Tag und wo sie doch Beute machen wollten?“
Er
schüttelte amüsiert den Kopf, und Ida wandte ihm brüsk
den Rücken. Sie schien jetzt
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