Die Klinge des Löwen 02
herab,
der Mund stand, wie in verblüffter Empörung, halb offen,
während er den Ritter anstarrte. Dabei hatte er die Linke
herausfordernd auf den Knauf seines Schwertes gestützt.
„ Willst
du freiwillig herunterkommen oder müssen wir dich holen?“
sagte er schleppend und damit den Bann der lastenden Stille brechend.
„Dich und deine hübschen Vögelchen!“
Dietrichs
graublaue Augen verengten sich bei der unangemessenen Tonart des
rüden Gesellen. Aber er wußte genau, daß er im
Augenblick mancherlei schlucken mußte, wollte er nicht
riskieren, daß der andere unvermittelt das Zeichen zum Angriff
gab. Dennoch erschien es ihm unumgänglich, diesem Schurken die
Grenzen aufzuzeigen, denn sonst würde es zu einer recht
einseitigen Verhandlung kommen, bei der nicht viel für ihn
herausspränge. Ihm war klar, daß er unbedingt die
Diskussion über sein und seiner Schützlinge Schicksal in
Gang bringen mußte. Hatte er den Anführer erst einmal so
weit, würde er versuchen, das Gespräch in die Länge zu
ziehen. Das würde die Räuberschar beruhigen, zumindest
hoffte er das. Er war entschlossen, sich einerseits nicht zu
unbedachten Äußerungen hinreißen zu lassen, aber
andererseits seinen Standpunkt mit Festigkeit und Härte zu
vertreten.
„ Bist
du der Anführer dieser...Leute?“ stellte Dietrich in
ruhigem Ton eine Gegenfrage, ohne auf die dreisten Worte des
Räuberhauptmannes einzugehen. Nur das leise Vibrieren seiner
Stimme sagte denen, die ihn kannten, wieviel Selbstbeherrschung er
aufbrachte, um seinen Zorn zu bezwingen.
„ Na,
das siehst du doch, wer hier das Sagen hat!“ rief der andere
spöttisch und setzte mit herrischer Gebärde hinzu: „Jetzt
komm endlich herunter von deinem Podest und bringe deinen Anhang
gleich mit! Bin gespannt, wie die Damen das bewältigen.“
Er
wandte sich seinen Kumpanen zu und rief: So eine Kletterpartie von
hübschen Weibern sieht man nicht alle Tage, was meint ihr,
Männer?“
Lachend
und johlend stimmte die Horde zu. Und ihr Anführer schien jetzt
richtig in Fahrt zu kommen. „Da gibt es was zu sehen, Leute,
wenn die beiden mit gerafften Röcken von ihrem Sockel
heruntersteigen!“
Wieder
schrien und grölten die Banditen vor Begeisterung. Ihr Häuptling
schien gewillt, die Stimmung weiter anzuheizen. Dietrich erkannte
entsetzt, daß der Kerl seine geplante Taktik der Ruhe und
Besonnenheit offenbar von vornherein zu durchkreuzen gedachte.
Der
Verbrecher warf seinem Kontrahenten auf der Felsplatte einen
tückischen Blick zu. „Na, hast du das gehört? Meine
Leute wollen an dem Privileg der vornehmen Herren teilhaben. Sie
wollen sich auch einmal an schlanken, weißen Weiberbeinen
sattsehen. Bisher war das wohl nur dir vorbehalten? Das muß
anders werden!“
Er
wandte sich wieder dem grölenden Haufen zu, den der
Säuglingskopf mit seinen unflätigen Reden anzustacheln
wußte. Mit einer herrischen Geste verschaffte er sich Gehör,
und die Bande, gierig nach neuen Gemeinheiten, verstummte.
„ Ich
verspreche euch, daß ihr jetzt die heimlichen Vergnügungen
der Edelleute kennenlernen werdet und euer frisch erworbenes Wissen
mit praktischen Übungen vertiefen könnt!“
Ein
anzügliches Lachen begleitete seine Worte, gefolgt von
brüllendem Gelächter seiner Komplizen. Nachdem die Bande
sich auf seinen Wink hin wieder beruhigt hatte, drehte er sich erneut
Dietrich zu und hob mit geheucheltem Bedauern die Hände.
„ Du
mußt das verstehen, Herr Ritter. Stell dir vor, diese armen
Kerle müssen im Wald hausen und sehen tagein, tagaus nichts
anderes als ihresgleichen. Kein Weiberrock weit und breit, an dem sie
sich ergötzen könnten. Kannst du ermessen, was sie fühlen,
wenn sie plötzlich zwei so bildhübsche Vögelchen vor
Augen haben? Ist es ein Wunder, wenn die Kerle sich vergessen?“
Die
johlenden Gestalten drängten sich jetzt um ihren Anführer.
Die beiden Frauen hinter Dietrich sahen voll Schrecken, wie ihnen aus
schmutzigen, verzerrten Gesichtern begehrlich starrende Augen
entgegenblickten. Ida und Bertha hatten den Knaben zwischen sich, der
halb neugierig, halb ängstlich auf die krakeelende Menge
hinuntersah und in seiner kindlichen Einfalt nicht wußte, ob er
lachen oder weinen sollte.
Diesen
Zwiespalt hatten die Erwachsenen nicht. Sie wußten genau, was
sich dort unten anbahnte. Und noch immer vermochte Dietrich nicht zu
Wort zu kommen. Er hatte längst begriffen, daß dem
Anführer der Banditen daran lag, ihn zum Schweigen zu
verurteilen. Erneut
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