Die Klinge des Löwen 02
ihn und seine Schutzbefohlenen das
Rededuell mit dem Wortführer der Wegelagerer ein ungutes Ende zu
nehmen drohte. Die Argumente ihres Häuptlings leuchteten der
Bande ein und schienen sie zu überzeugen, daß er recht
habe. So beschloß Dietrich, einen letzten verzweifelten Versuch
zu wagen, die Banditen umzustimmen, indem er ihren Anführer der
Lächerlichkeit preisgab.
„ Du
führst zwar große Worte im Mund“, rief er dem
anderen zu. „Aber bis jetzt hast du uns noch nicht einmal
deinen Namen genannt. Hast du keinen?“
Ein
paar von den Halunken lachten, verstummten aber schnell, als der
Kahlköpfige ihnen wütende Blicke zuwarf. Dann wandelte sich
seine Miene, und er verbeugte sich unbeholfen vor dem Ritter. Als er
sich wieder aufrichtete, zog ein scheinheiliges Grinsen über
sein Gesicht.
„ Verzeiht,
edler Herr, daß ich mich Euch noch nicht vorgestellt habe.
Natürlich besitze ich, wie jeder anständige Christenmensch,
einen Namen. Man nennt mich den 'Blutigen Jörg'. Mit vollem
Namen heiße ich Jörg Wigand.“
„ Nun,
gut“, erwiderte Dietrich verächtlich. „Wie du auch
wirklich heißen magst, dein Räubername bedarf einer
Änderung. Ich nenne dich blutiger Narr!“
Wieder
klang in den Reihen der Banditen spöttisches Lachen auf, und
Dietrich ersah daraus, daß der Anführer seine Leute nicht
vollkommen in der Hand hatte. „Ja, ich nenne dich einen
blutigen Narren, denn sonst wüßtest du, daß es auch
für hochgeborene Menschen manchmal Gründe geben kann, nicht
mit großem Gefolge zu reisen.“
Indem
er sich anschließend geschwind der lauschenden Räuberschar
zuwandte, versuchte er einer erneuten Antwort ihres Häuptlings
zuvorzukommen. Er wies auf Ida und rief den Banditen zu: „Meine
Herrin ist Ida, Gräfin von Ortenburg. Und das ist ihr Sohn
Bernhard. Ihr Gemahl wird sie auslösen, so wahr ich hier stehe!“
Ida
hatte den Knaben bei der Hand ergriffen und sich abermals neben
Dietrich gestellt, in stolzer, aufrechter Haltung, mit der sie den
Männern ihre Furchtlosigkeit kund tat, auch wenn ihr nicht
danach zumute war. Bertha hielt sich im Hintergrund.
Der
Säuglingskopf hatte mit offenem Mund zugehört. Jetzt wandte
er sich abermals seinen Leuten zu, um wieder das Wort zu ergreifen,
aber noch einmal reagierte Dietrich schneller.
„ Begeht
keinen folgenschweren Fehler, Leute“, rief er der Meute zu.
„Entweder wir einigen uns hier und jetzt auf eine Möglichkeit
für euch alle, zu einem fürstlichen Lösegeld zu
kommen, wobei ihr uns freien Abzug gewährt - oder der Tod wird
hier oben regieren! Solltet ihr das letztere wählen, dann
gewinnt ihr überhaupt nichts, denn wir führen nichts
Wertvolles mit uns. Aber ich will euch noch einmal verdeutlichen, was
ich vorhin schon andeutete: Graf Max wird von eurem scheußlichen
Verbrechen erfahren. Diese Wälder werden von Bewaffneten
wimmeln. Er wird euch erbarmungslos jagen lassen, als wäret ihr
nichts weiter als ein Rudel Wölfe. Kein Schlupfwinkel wird für
euch sicher genug sein, sich darin zu verbergen. Ihr seid zwar schon
jetzt vogelfrei; aber dieser Zustand wird euch paradiesisch vorkommen
gegen das, was euch erwartet, wenn ihr Hand an uns legt. Nirgendwo
könnt ihr euch dann noch blicken lassen, jede menschliche
Ansiedlung würde euch zur Falle werden. Man wird euch mit Hunden
hetzen, sobald ihr auch nur versucht, euch Nahrung zu verschaffen.
Euer elendes Leben wird euch zur Last werden; mit den Straßenkötern
müßt ihr euch um die Knochen balgen, die man diesen
vorwirft. Schließlich wird man euch erwischen, jeden einzelnen
von euch. Und am Ende werden eure blutigen Leichname an den Bäumen
am Rande des Geroldswaldes aufgehängt, den Raben zum Fraß,
nachdem man euch zuvor aufs Rad spannte und mit glühenden Zangen
lehrte, was es heißt, sich mit Rittern und Edelleuten
anzulegen.“
Er
hielt kurz inne, um seine dunkle Drohung wirken zu lassen. Als der
„Blutige Jörg“ höhnisch zu lachen begann, was
wohl als Einleitung einer Erwiderung gelten sollte, kam ihm Dietrich
ein drittes Mal zuvor. Er zwang sich, ruhig und gelassen zu bleiben,
als wäre er sich seiner Sache völlig sicher: „Jetzt
wählt, welches Schicksal ihr vorzieht - eine mit genügend
Geld gewürzte Zukunft oder ein Hundeleben!“
Ohne
Zweifel hatten Dietrichs Worte einen tiefen Eindruck bei den meisten
Bandenmitgliedern hinterlassen. Er sah es ihren betroffenen Mienen an
und wußte, daß sie in ihrer Meinung, straflos leichte
Beute machen zu können,
Weitere Kostenlose Bücher