Die Klinge des Löwen 02
eine
Rolle spielen sollte. Allein deshalb erschien es Berthold wichtig,
Dietrich und damit natürlich auch Ida freizusprechen. Kühl
kalkulierend, hatte er erkannt, daß es nicht ratsam sei, den
Gerichtstag aufgrund des erwarteten Krieges mit den Slawen ohne
Urteil einfach abzubrechen. Von einem Mann, über dem nach wie
vor ein Schuldspruch schwebte, hätten die Edelleute niemals
Befehle angenommen.
Wie
recht er mit seinem Bestreben hatte, das Urteil zu fällen, um
klare rechtliche Verhältnisse zu schaffen, zeigte sich
unmittelbar nach dem Spruch. In den Reihen der Edlen erhoben sich
bereits kritische Stimmen zu der Art und Weise, wie der herzogliche
Richter das Gottesgericht beendet hatte. Er erkannte, daß er
rasch handeln mußte. Noch ehe der Widerstand um sich greifen
konnte, begab Berthold sich eilig in die Mitte des obersten
Zuschauerranges, so daß jetzt alle zu ihm aufschauen und dabei
zum Teil auf recht unwürdige Weise den Kopf verdrehen mußten.
Nur Dietrich und Urban blieben von Bertholds geschicktem,
psychologisch motivierten Stellungswechsel unberührt, denn sie
standen unten auf dem Rasen.
Auf
der Seite des Volkes war es nach wie vor mucksmäuschenstill,
weniger jedoch wegen dem unvermittelten Ende des Prozesses, sondern
weil diese einfachen Leute durch die Nachricht eines baldigen Krieges
im Land schockiert waren. Sie ahnten, daß zuallererst sie von
Tod und Verderben betroffen sein würden, wenn tatsächlich
ein feindliches Heer in die Mortenau einbrach. Außerdem
bedeutete dies, daß alle kampffähigen Männer von
ihren Höfen abgezogen wurden, weil sie ihrem jeweiligen Herrn in
der sich möglicherweise anbahnenden Schlacht zu dienen hatten.
Die Lustigkeit war daher den meisten vergangen, und viele Gesichter
waren nun von schwerer Sorge gezeichnet.
Als
alle auf der Tribüne befindlichen Edelleute dem Herzog in der
von ihm bezweckten demütigen Haltung zugeneigt waren, schickte
er sich an, als oberster Kriegsherr der Region den Rüstungsbefehl
auszugeben, den er sich bereits auf dem Weg in den Zwinger
zurechtgelegt hatte. Die Sonne neigte sich inzwischen den Vogesen im
Westen zu. Die Tribüne lag in ihrem vollen Licht, bis hinauf zu
dem Platz, wo der Fürst stand. Es war sehr warm geworden, und es
herrschte eine bleierne Stille, die sich wie ein erstickender Nebel
auf die wartenden Menschen senkte.
Auch
Dietrich fühlte unangenehm, wie ihm die Sonne in den Rücken
stach. Vielleicht als einzigem fiel ihm auf, daß die am Morgen
jubilierenden gefiederten Sänger jetzt alle schwiegen. Aber
trotz dieser gedrückten Stimmung, die sich unter den Zuschauern
breitmachte, war er guter Dinge. Der von seinem schwitzenden
Nebenmann Urban gegen ihn angezettelte Prozeß war zu Ende! Er
und Ida würden den Platz als freie, unbescholtene Menschen
verlassen, und - was ihn besonders freute - schon in wenigen Tagen
würde kein Hahn mehr nach diesem Gerichtsverfahren krähen.
Geschwätzige Neugier und zynische Gehässigkeit, die sonst
meistens im Schlepptau eines derartigen Ereignisses aufkamen, egal,
wie es ausging, hatten diesmal keine Gelegenheit, sich auszubreiten!
Die Leute, ob hoch oder niedrig, hatten jetzt allesamt andere Sorgen.
Ihm war fast zum Lachen zumute, als er daran dachte, daß allein
die Erwähnung eines slawischen Heerhaufens das mühsam
aufgebaute Gebäude der Anklage gegen ihn und Ida zum Einsturz
gebracht hatte. Aber nicht lange konnte Dietrich innerlich
frohlocken, denn rasch holte ihn die laute Stimme des Herzogs in die
wenig amüsante Wirklichkeit zurück.
"Jeder
von euch Edlen hat von jetzt an zwei Tage Zeit, seine waffenfähigen
Mannen zu sammeln und die nötigen Rosse zu stellen, um sich
damit bei unserem Heer einzufinden. In zwei Tagen, um diese Zeit,
wenn die Schatten nach dem Mittag wieder länger werden, müssen
alle Bewaffneten unter Führung ihrer Herren unterhalb der
Ortenburg eingetroffen sein und zur Eingliederung in das
Verteidigungsheer bereitstehen."
Als
er schwieg, brandete das erregte Stimmengewirr der adligen Zuhörer
erneut auf. Der Fürst ließ seine Blicke über die
Versammlung wandern. Auf nicht wenigen Gesichtern sah er ärgerliche,
ja, trotzige Mienen, so daß er den Eindruck gewann, unter ihm
sammle sich eine Partei, um seinen Plänen harten Widerstand
entgegenzusetzen. Wehret den Anfängen, dachte er verdrossen und
wollte erneut das Wort ergreifen. Rasch sah er jedoch ein, daß
die Erregung unter den Edlen jetzt zu groß war, als daß
er mit seiner Stimme hätte
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