Die Klinge des Löwen 03
unmittelbaren
Umgebung ab und hielt damit ihren Kopf frei für das, was sie
sich gerade überlegte. Gleichzeitig aber erzeugte sie durch
ihren Blick bei ihrem Gegenüber das Empfinden, daß sie ihm
ungeteilte Aufmerksamkeit schenke.
"Paß
auf", sagte sie nach einer Weile mit einem Eifer, der dem Alten
Freude bereitete. "Wir stellen den Mann auf die Probe! Biete ihm
an, für einige Zeit hier bei uns zu bleiben, wo er vor
Verfolgung sicher ist. Sagt er zu, dann stimmt es vielleicht, was er
dir erzählte. Man behalte ihn aber trotzdem vorläufig im
Auge, einfach als eine Sicherheitsmaßnahme. Lehnt er jedoch
deinen Vorschlag ab, dann, so glaube ich, haben wir es mit jemandem
zu tun, der Kapital aus seinen Kenntnissen schlagen will. Wir können
ihn nicht zurückhalten, wenn er zu gehen wünscht. Aber wir
müssen von da an den Außenbereich unserer Burg stärker
überwachen, als bisher."
"Wie
Ihr wünscht, Herrin", sagte Bartholomäus respektvoll,
den die rasche Auffassungsgabe Adelheids tief beeindruckte. "Ich
fürchte aber, der Fremde läßt sich nicht halten."
"Wir
werden sehen", entgegnete Adelheid und setzte lächelnd
hinzu: "Geh jetzt, bevor der Vogel entfleucht!"
Die
Vermutung des Alten sollte sich schnell bestätigen. Der Fremde
schlug die Einladung mit der Begründung aus, er werde bereits
von seinen Verwandten erwartet, und wenn er nicht rechtzeitig ankäme,
würde er sie in große Sorgen stürzen. Anschließend
machte er sich eilig davon, als fürchte er, man wolle ihn mit
Gewalt festhalten.
Zurück
blieb ein nachdenklicher Bartholomäus, der sich ob des seltsamen
Verhaltens des Fremden vergeblich den Kopf zerbrach. Schließlich
gab er es aber auf, über die Sache weiter nachzudenken, und da
er mit den niederträchtigen Machenschaften, die sich in dieser
Kriegszeit unter den Menschen häuften, nicht vertraut war,
unterließ er es auch, einen Knecht dem seltsamen Besucher
nachzuschicken, um zu erkunden, ob dieser den Weg einschlug, den er
vorgegeben hatte.
Noch
einmal begab er sich zu Adelheid, um ihr zu sagen, daß der
fremde Besucher die Burg verlassen habe. Sie entgegnete
stirnrunzelnd: "Da kann man nichts machen. Aber denke daran,
unbedingt Leute für die Außensicherung abzustellen."
"Das
ist nicht so einfach", sagte er etwas befangen. "Von den
Waffenknechten kann ich keinen nehmen. Sie reichen kaum aus, um die
Burg zu schützen."
"Und
wie steht es mit Leuten aus dem Gesinde?"
Bartholomäus
schüttelte verlegen den Kopf. "Da ist keiner, der für
einen vorgeschobenen Wachdienst taugt."
"Nun,
dann muß ich bei Gelegenheit meinen Gemahl bitten, mir ein paar
von seinen Kriegsknechten zu schicken. Die Sache mit dem Fremden läßt
mir sonst keine Ruhe."
Die
junge Frau spürte instinktiv, daß von dem seltsamen
Besucher, der es plötzlich so eilig hatte, wieder fortzukommen,
eine Gefahr ausging. Sie konnte sich über das warnende Gefühl
keine Rechenschaft ablegen, zumal sie den Fremden überhaupt
nicht zu Gesicht bekommen hatte. Aber allein, was der Großknecht
ihr berichtete, alarmierte ihre Vorsicht. Wenn sie noch gewußt
hätte, daß der verdächtige Gast unter falschem Namen
aufgetaucht war, dann wäre es um ihre Ruhe geschehen gewesen.
In
Wirklichkeit hieß der Fremde nicht Eckbertus, sondern wurde
"Hacko, der Händler" genannt. Hacko war also alles
andere als ein Bauer, als den er sich vor Bartholomäus
ausgegeben. Vielmehr hatte er bis vor wenigen Monaten Burgen und
Weiler aufgesucht, um seine Waren aus der halben Welt feilzubieten.
Durch den Einfall der Slawen waren jedoch seine Einkünfte
versiegt, denn nachdem er mehrmals auf seinen Fahrten von den
Besatzern angehalten und ausgeplündert worden war, hatte er
seinen Handel aufgegeben. Um nicht zu verhungern, verlegte er sich
auf ein Geschäft, bei dem die vor den Slawen flüchtenden
Menschen eine Rolle spielten. Als fahrender Händler wußte
er über die Zahl sowie die Lage und Größe der meisten
Burgen in der Südhälfte der Mortenau trefflich Bescheid. Er
suchte eine nach der anderen auf, um herauszufinden, wo noch genügend
Platz vorhanden war, um neue Flüchtlinge aufzunehmen. Dieses
Wissen verkaufte er den obdachlosen Menschen, die auf der Suche nach
einer Bleibe waren. Geld hatten die meisten zwar keines, aber dafür
mußten sie ihm von ihren Nahrungsvorräten abgeben, die sie
mit sich führten. Hacko konnte auf diese Weise natürlich
keine Reichtümer erwerben, aber immerhin gelang es ihm bislang,
sich über Wasser zu halten. Und ganz
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