Die Klinge des Löwen 03
inzwischen, als habe sich mit der ständigen
Abwesenheit Dietrichs auch ihre Energie verflüchtigt, und
tatsächlich drückte das Bewußtsein, von ihrem Gemahl
für lange Zeit getrennt zu sein, sie nieder. Seit der Hochzeit,
also praktisch seit dem formalen Beginn ihrer Ehe, lebten sie
getrennt von Tisch und Bett. Nicht einmal die Hochzeitsnacht hatte er
bei ihr verbracht. Die Pflicht, wie er es etwas verlegen ausdrückte,
rief ihn zurück auf die Ortenburg. Danach war er noch ein
einziges Mal auf der Thiersburg erschienen. Er war in Begleitung
eines älteren Mannes, den er ihr als Bartholomäus
vorstellte. Er führte einige gefangene Slawen mit sich, die er
ihr als Arbeitskräfte übergab. Anschließend hatte er
sich so rasch von ihr verabschiedet, daß es ihr vorkam, als
wollte er unbedingt vermeiden, mit ihr auch nur einen Augenblick
allein zu sein. Es blieb ihr in bitterer Erinnerung, wie er zum
Abschied ihr mit kalter Miene kurz zuwinkte, sein Roß herumzog
und aus der Burg sprengte, ohne sich noch einmal umzusehen.
Noch
lag die Thiersburg - unentdeckt vom Feind und den aus den nördlichen
Landesteilen ab und zu nach Süden ziehenden Flüchtlingen -
in friedlicher Stille im hinteren Teil des verschwiegenen Tales. Da
die Herrin sich kaum sehen ließ, herrschte eine gewisse
Gleichgültigkeit unter dem Gesinde und den wenigen
Waffenknechten, die Dietrich abgestellt hatte. Zwar ging jeder seiner
Beschäftigung nach, aber alles geschah oberflächlich und
ohne Entschlußkraft. Selbst Bartholomäus, der als
Großknecht einst auf Dietrichs Hofgut hinter der Ortenburg
gewirkt und dem er die Aufsicht über das Gesinde der Thiersburg
anvertraut hatte, ging mit unsicherem Blick umher. Was diesen an sich
fleißigen Mann bedrückte, war die Zurückgezogenheit
der Herrin. Seit seinem Aufenthalt auf dieser Burg, und der dauerte
jetzt schon zwei Monate, hatte er sie noch nie zu Gesicht bekommen.
Wenn er Fragen hatte, über die sie entscheiden sollte, erschien
sie nicht selber und ließ ihn auch nicht rufen, sondern
schickte eine ihrer drei Kammerfrauen. Meistens kam Walburga, eine
dralle, etwa dreißigjährige Person, die er wegen ihrer
losen Zunge fürchtete und die ihm in oft schnippischem Ton die
Antwort Adelheids mitteilte.
Es
kam ein Tag im Oktober, wo in der Ebene dichter Nebel herrschte,
während hinten über der Thiersburg die Sonne schien und die
graue, wabernde Masse am Taleingang zurückhielt. Während
auf der Feste alles seinen gewohnt trägen Gang ging, entdeckte
der auf dem Bergfried postierte Wächter einen einsamen Wanderer,
der aus der Richtung des Taleinganges langsam näher kam. Da es
aus Furcht vor einer Entdeckung der Burg den Waffenknechten in diesen
Kriegszeiten verboten war, ein Horn zu benutzen, mußte der
Wächter die schmale Wendeltreppe hinuntereilen, um in den
Burghof zu gelangen und seine Warnung, daß ein Unbekannter sich
der Thiersburg nähere, an den Mann zu bringen.
Der
Bergfried der Thiersburg hatte ein sonderbares Aussehen. Es war ein
hochaufragender, schlanker und mit dem runden Dach spitz zum Himmel
weisender Bau, der eher einem maurischen Minarett glich, als dem Typ
der mächtigen Sicherungstürme, die auf deutschen Burgen
üblich und außer für die Wacht auch als letzte
Zuflucht bei einem Angriff eingerichtet waren. Auf einander
gegenüberliegenden Seiten stießen an diesen Turm bis in
halbe Höhe Ansätze einer Schildmauer, die oben von
überdachten Wehrgängen abgeschlossen waren. Seltsamerweise
erhob sich das Ganze nicht unmittelbar über dem Burgeingang,
sondern grenzte seitlich an das Torhaus, so daß nur der
östliche Wehrgang für die Verteidigung des Burgtores von
Nutzen war. Aber hoch über sämtliche Gebäude der Burg
hinausragend, gestattete dieser Bergfried den Blick auf den Talweg,
dessen weiterer Verlauf nach draußen allerdings zwei
Pfeilschußweiten entfernt von einen Bergvorsprung verdeckt
wurde. Das wiederum hatte den schwerwiegenden Nachteil, daß ein
Wächter trotz des hohen Sitzes den entfernten Taleingang nicht
einsehen konnte. Normalerweise wäre es in diesen unsicheren
Zeiten notwendig gewesen, zumindest einen Mann ausgangs des Tales zu
postieren, um vor unangenehmen Überraschungen sicher zu sein.
Daran
dachte jedoch auf der Burg niemand, am allerwenigsten Adelheid, bei
der sich Bartholomäus mit der Botschaft des Turmwächters
inzwischen eingefunden hatte. Es war das erste Mal, daß man ihn
in die Kemenate der Herrin gebeten hatte. Sie erwartete ihn
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