Die Klinge: Roman (German Edition)
suche ich mir einen anderen Ort, an dem ich bleiben kann. Das sollte kein Problem sein.
Die Region von Los Angeles war riesig. Eine Stadt nach der anderen. Millionen von Menschen. An einem Ort wie diesem könnte er ewig untertauchen.
Für immer. Ein Haus nach dem anderen, eine Frau nach der anderen.
Zuschlagen und verschwinden.
Großartig!
Albert drehte den Kopf hin und her, um die Verspannungen im Nacken zu lösen, und fuhr wieder los. Langsam rollte er an den Häusern vorbei, bis er eine weitere Nummer entdeckte.
3990.
Er wartete an einem Stoppschild, obwohl sich keine Autos näherten.
Am Ende des nächsten Blocks gab es kein Stoppschild. An der nächsten Kreuzung stand wieder eines. Er hielt an. Während ein Auto vor ihm vorbeifuhr, sah er noch einmal auf den Führerschein des Mädchens.
4231.
Das Haus sollte sich am Anfang des nächsten Blocks befinden, vermutlich war es das zweite oder dritte auf der linken Seite.
Albert ersparte sich die Mühe, danach zu suchen, und parkte gleich hinter der Ecke.
Er stieg aus. Es fühlte sich so gut an, zu stehen. Er dehnte seine Muskeln und füllte die Lungen mit der kühlen, feuchten Luft. Er hatte das Gefühl, den Nebel schmecken zu können.
Eine fantastische Nacht!
Niemand fuhr durch die Straße. Niemand ging auf dem Bürgersteig. Nur Albert. Die Sohlen seiner Turnschuhe glitten fast geräuschlos über das Pflaster.
Das zweigeschossige Haus mit der Nummer 4231 sah groß und alt aus. Die Fenster im Obergeschoss waren dunkel, aber hinter dem größten Fenster im Erdgeschoss brannte Licht. Die Einfahrt war leer.
Albert ging quer durch den Vorgarten und hinterließ einen Pfad im nassen Gras. Als er seine Fußabdrücke auf der Betonterrasse vor dem Haus sah, wünschte er sich, er hätte den Gehweg benutzt. Aber die Abdrücke würden am Morgen trocknen und wahrscheinlich spurlos verschwinden.
In der rechten Hand hielt er ein Messer, deshalb drückte er den Klingelknopf mit der linken.
54 MARY, MARY
Beifall und Pfiffe.
»Zeig’s ihnen, Mary!«
»Geh in ein Kloster! «, schrie sie die junge Frau neben Ronald erneut an.
Das arme Ding, dachte Ian. Sie wirkte ziemlich verwirrt.
»Geh in einen Klamottenladen!«, rief Dale Mary zu.
»Sie können mich mal am Allerwertesten!«, entgegnete Mary.
Viele Leute lachten. Aber nicht das Mädchen mit dem weißen Lederhemd.
Wo kommt sie her?, fragte sich Ian. War sie vielleicht eine Referendarin, die ihm nicht aufgefallen war? Das kam ihm nicht gerade wahrscheinlich vor. Vielleicht war sie die Freundin von jemandem.
»Zieh den Rest aus!«, schlug der stellvertretende Rektor Reiser vor.
»Genau!«, rief Jim Green, einer der Sozialkundelehrer. »Los, Mary! Zeig uns, was du zu bieten hast!«
»Ausziehen!«, skandierte Reiser. »Alles ausziehen!«
»Jetzt hört auf damit, Leute«, sagte Harrison. »Das geht langsam zu weit.«
Das Mädchen wirkte erleichtert.
Sie ist nicht Ronalds Freundin, dachte Ian. Das steht fest. Aber wahrscheinlich hatte er sich trotzdem an sie rangehängt. Obwohl der Mann seit Jahren mit Dale verheiratet war, hatte er die Gewohnheit, sich bei jeder Zusammenkunft das hübscheste Mädchen herauszupicken und mit ihm zu flirten.
Er hatte es offenbar wieder getan. Und Mary gefiel es nicht, überhaupt nicht.
Also, was läuft da zwischen Mary und Ronald? Warum regt sie sich so auf? Haben sie ein Verhältnis?
»Mary«, sagte Harrison, »komm vom Tisch runter, bevor du fällst und dir das Genick brichst.«
»Und dann geh zu den Anonymen Alkoholikern!«, emp fahl Dale.
»Mylady, fick dich!« Mary stieß ein wildes Lachen aus, sprang vom Wohnzimmertisch und verbeugte sich so tief, dass alle Anwesenden einen herrlichen Blick in ihren Ausschnitt werfen konnten.
Wieder wurde geklatscht und gepfiffen, und Leute riefen »Bravo!« und »Gut gemacht!«.
Sie lächelte und winkte einigen Männern zu, dann lief sie zu Ian und klammerte sich an seinen Arm.
»Was für ein Auftritt«, sagte er.
»Vielen Dank, Sir.«
Sie schlängelten sich langsam durch den Raum, während Mary von allen Seiten Komplimente entgegennahm. Allerdings fast nur von Männern. Die Frauen wussten offenbar weder ihr Kostüm noch ihre Possen zu schätzen. Manche von ihnen ignorierten sie. Andere beäugten sie verächtlich oder mitleidig.
Helen Bryant auf Kollisionskurs.
Sie trug dasselbe »Fünfziger-Jahre-Mädchen«-Kostüm wie letztes Jahr: ein rosafarbenes Halstuch, einen engen weißen Kaschmirpullover, einen langen, grauen Rock
Weitere Kostenlose Bücher