Die Klinge von Namara: Roman (German Edition)
zum nächsten Nachbarn betrug zwanzig Fuß. Die niedrige Mauer, die um das Dach herum verlief, war mit genügend scharfkantigen Tonscherben versehen, um jedes Wurfseil zu durchtrennen.
Aber das war noch nicht alles. Die Lichtschächte, die als billige Lichtquelle dienten und zudem für die dringend notwendige Lüftung sorgten, waren mit einem feinen Drahtnetz abgedeckt, in das Glyphen eingewoben waren. Außerdem waren sie schmal und von einem niedrigen Regenschutz umgeben, der das Hinabklettern weitgehend unmöglich machte. Eigentlich ein richtig gutes System, aber es war nicht dafür geschaffen worden, eine Klinge fernzuhalten. Oder irgendeinen der anderen Spitzenmagier, wenn wir schon dabei sind.
Derartige Sicherheitseinrichtungen waren schlicht unrentabel und kamen nur in Form jener vielschichtigen Schutzanlagen zum Einsatz, mit denen sich Könige oder die Angehörigen desHochadels zu umgeben pflegten. Ausreichende Vorbereitung und ein bisschen Glück vorausgesetzt, waren sogar die umgehbar, was auch der Grund war, warum die Leute angefangen hatten, mich den Königsmörder zu nennen.
Ich bat Triss, sich an der Klinge meines Schwerts entlang auszustrecken. Als er das tat, öffnete er eine Tür in seiner Seele und wurde zu einem schmalen Tor, so schmal wie die Klinge selbst, zum Immerfinster, der Dimension, aus der seine Spezies ursprünglich gekommen war. Derweil stemmte sich Stal kraftvoll gegen die Mauersteine, um sie daran zu hindern, abzusacken und mein Schwert einzuklemmen. Gemeinsam benötigten wir nur wenige Minuten, die Überdachung des Lichtschachts aufzutrennen. Danach konnten wir das ganze Ding sauber absetzen und hatten ein hübsches Loch vor uns, das uns als Eingang dienen konnte. Hätten wir das während des Tages probiert, hätte uns das hellere Licht verraten, aber auch jetzt gereichten uns Dunkelheit und Wolken zum Vorteil.
Der Blick in das Loch offenbarte einen schmalen Gang, der über vier Stockwerke an den Wänden entlangführte und den Zugang zu den Lagerräumen ermöglichte. Trübe Magierlampen lieferten gerade genug Licht, dass die Eigentümer und die Angestellten bei Nacht ihren Weg finden konnten. Von einer zurückliegenden Erkundung des Gebäudes wusste ich, dass die kleinsten Lagerräume gerade so groß waren wie ein Wandschrank, während die größten Platz genug boten, eine recht beachtliche Kutsche abzustellen. Fünfziegen hatte einen fensterlosen Raum im dritten Stock, ungefähr vier Mal zehn Fuß groß, der an einem anderen Gang lag.
Kopfüber glitt ich in das Loch, hing an den Unterschenkeln und breitete die Arme aus, damit Triss sie zur Verankerung der großen Schattenschwingen nutzen konnte, die er aus seiner eigenen Substanz schuf. Ein Wachmann ging im Erdgeschoss vorbei, schaute aber nicht auf und hätte auch keinen Unterschiedzwischen Triss’ Schatten und dem sternenlosen Himmel ausmachen können. Als ich losließ, drehten wir uns um und glitten sacht hinab zu dem Gang im obersten Stockwerk.
HaS warf mir eine mit einem Gewicht beschwerte Seidenschnur zu, die wir in erster Linie dazu brauchten, sie vom Dach zu holen. Ich befestigte mein Ende am Geländer, während die Dyade das ihre mit einem Zauber am Dach fixierte. Dann glitten sie zu mir herab – erst Hera, dann Stal. Einen Moment später verflog die Magie, das Seil fiel herab, und ich verstaute es in meinem Trickbeutel.
Fünfziegen hatte Stoff in die Türritze gestopft, damit kein Lichtschein herausdringen konnte, aber er hatte nicht an den Luftschacht unter der Decke gedacht. Zudem hatte er sich darauf beschränkt, ein Durkothschloss einfachster Bauart von den Eignern des Lagerhauses zu mieten, was ihm vor dem Schattenlöhner, der ich angeblich war, ausreichend Schutz geboten hätte. Aber dank Triss, der imstande war in das Schlüsselloch hineinzugleiten und sich in einen perfekten Dietrich zu verwandeln, reichte es nicht einmal, um uns eine Weile aufzuhalten. Als ich die Tür aufgeschlossen und geöffnet hatte, stürmte Stal mit gezogenen Kampfruten in den Lagerraum.
Zu diesem Zeitpunkt spielte Triss schon wieder meinen Schatten, und ich folgte Stal einen Moment später. Stal hatte Fünfziegen am Boden festgenagelt und drückte ihm die eisenbeschlagene Spitze einer ihrer Ruten an die Kehle. Hinter mir schloss Hera die Tür und bezog draußen Position, um Wache zu halten.
»Hallo Issa«, sagte ich in dem süßesten Tonfall, den ich zustandebrachte. »Wusstest du, dass ich dich in der ganzen Stadt gesucht
Weitere Kostenlose Bücher