Die Klinge von Namara: Roman (German Edition)
der Stelle, an der ich meine Amphoren verwahrte. Für einen Moment lag die nächste von ihnen in tiefem Schatten, dann fiel leise ein großer Keramikstopfen zu Boden. Zwei Herzschläge später zog Triss einen kleinen irdenen Topf heraus und brachte ihn mir, ehe er sich aufmachte, die nächste Amphore zu öffnen.
Ich brach das Siegel, klaubte den Deckel ab und brachte einen Ziegelstein von einem Kuchen zum Vorschein, der die Luft mit dem Duft von Orangenlikör parfümierte. Der Kuchen bestand größtenteils aus Trockenfrüchten und Nüssen, gebacken mit gerade genug Reismehl, die Zutaten beisammenzuhalten, und anschließend mit Likör getränkt, um ihn haltbar zu machen. Solange er in dem Topf blieb, hielt er mehr oder weniger ewig. Und wollte man ihn als Reiseproviant nutzen, so konnte man ihn in Ölpapier wickeln und ganz unten in einem Bündel verwahren, und er schmeckte auch noch, nachdem man einen oder drei Monate durch die Weltgeschichte gehüpft war.
Ich brach ein Stück ab und fing an zu kauen. Himmlisches Zeug, aber teuer. Was auch der Grund war, dass ich in der anderen Reserve nichts davon hatte. Während ich meinen Orangenkuchen mampfte, brachte mir Triss ein Gefäß mit exzellentem Dünnbier und ein kleines, in Ölpapier gewickeltes Stück Schinken – ebenfalls eine erheblich bessere Speise als ich sie Stal und Hera hatte anbieten können. Bei dem Gedanken versetzte mir mein Gewissen einen Stich. Aber das Einzige, was ich im Moment tun konnte, war, hier rauszugehen und sie zu suchen, und es würde meine Aussichten erheblich verbessern, zunächst ein ordentliches Mahl zu mir genommen zu haben.
Die Amphore mit meinem zwanzigjährigen Kyles öffneteTriss nicht, und ich bat ihn auch nicht darum, obwohl ich zu gern den einen oder anderen Schluck von etwas Stärkerem als dem Dünnbier und dem Likör im Kuchen genossen hätte. Ich hatte Schinken und Kuchen etwa zur Hälfte verzehrt, als Triss plötzlich den Kopf herumriss und argwöhnisch die Falltür musterte.
»Was ist los?«, fragte ich.
»Ich bin nicht sicher. Warte.«
Triss glitt durch die Tür hinunter und ließ nur einen dünnen Faden der Finsternis zurück, der ihn mit mir und der Stelle verband, an die die Sonne meinen Schatten geworfen hätte. Ich legte den Schinken leise auf den Boden und griff nach meinen Kleidern. Meine Hand hatte gerade die rohe Seide meiner Hose ertastet, als ich ein besorgtes Pulsieren in der Schattenlinie zwischen uns verspürte. Das war eine überaus dringliche Warnung. Statt also meine Kleider anzulegen, klemmte ich sie unter den Trageriemen meines neuen Beutels und griff nach meinen Stiefeln.
Als ich gerade den ersten Stiefel anzog, tauchte Triss wieder in der Falltür auf. Statt einfach heraufzuspringen, glitt er langsam und vorsichtig über die Kante. Ich klappte den Mund auf, um ihn zu fragen, was los war. Doch bevor ich ein Wort herausbekam, berührte er mit einer Klaue meine Lippen und schüttelte den Kopf. Dann reichte er mir den anderen Stiefel, ehe er meinen Beutel in Schatten hüllte und mir leise auf die Schulter hob, während ich in den Stiefel schlüpfte. Zum ersten Mal wurde mir bewusst, wie still die Welt außerhalb meines Turms geworden war. Mist.
Als ich mich in eine kauernde Haltung hochstemmte, legte ich den Kopf in den Nacken und ahmte das Heulen eines Wolfs nach. Triss nickte und hielt fünf Finger hoch, mit denen er dann in der Luft kreiste, um mir klarzumachen, dass sie überall um uns herum waren. Das hieß, wir konnten keinen Segelsprungdurchführen, ganz besonders nicht mitten am Nachmittag, wenn Triss so oder so geschwächt war. Ich zeigte auf die Falltür, und er nickte. Das würde wirklich übel werden.
Ein sehr leises Rascheln, ganz so als kletterte jemand verstohlen an einer Steinmauer empor, drang zum Fenster herein. Ich sprang und bekam einen der Querbalken zu fassen. Hastig riss ich die Beine hoch, um mich mit den Unterschenkeln an den Balken zu hängen und die Hände freizubekommen. Triss wickelte sich um mich herum und unterwarf seinen Willen dem meinen. Ich holte einmal tief Luft, schloss die Augen und setzte einen Blitz frei, als ich die Luft wieder entweichen ließ. Die Explosion nagte sich durch die hölzernen Planken, die in dem Moment, in dem sie zwei der Hauptstützen meines kleinen Horsts durchtrennte, Feuer fingen.
Mit einem schrecklichen Reißen stürzte der Boden unter mir ein – stürzte ins Dunkel wie ein brennendes Rad. Der Turm bebte. Staubwolken wogten auf,
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