Die Klinge
Er merkte sich die Nummer des Stockwerks, in dem der Aufzug stehen geblieben war, und stopfte hastig seine Papiere
in den Aktenkoffer. Dann rannte er so schnell die Treppe hinauf, dass er gerade noch sah, wie Paula oben den Gang entlangging. Vorsichtig folgte er ihr und beobachtete, wie sie vor einer Zimmertür stehen blieb und sie dann aufsperrte.
Nachdem sie in dem Zimmer verschwunden war, schlich Luigi sich auf Zehenspitzen heran und prägte sich dessen Nummer ein. Das Sicherheitsschloss sollte kein großes Problem für Luigi darstellen, immerhin besaß er einen elektronischen Dietrich aus Amerika, mit dem er solche Schlösser in Minutenschnelle öffnen konnte. Zufrieden ging Luigi auf sein eigenes Zimmer.
Schon seit langem war ihm klar, dass man als professioneller Killer vor allen Dingen Geduld brauchte. Am sichersten war es wohl, wenn er Paula in den frühen Morgenstunden auf ihrem Zimmer tötete. Und einen Fluchtweg hatte er auch schon parat: die Feuertür am Ende des Gangs. Die würde er sich später noch genauer ansehen.
Luigi hatte sein Zimmer einen Monat im Voraus bar bezahlt und dem Mann an der Rezeption erzählt, er müsse eventuell ganz schnell auf Geschäftsreise nach Deutschland. Auch wenn er dort möglicherweise ein paar Nächte bleibe, würde er gern bei seiner Rückkehr weiter über das Zimmer verfügen können.
Die Rechnung vorab zu begleichen war eine weise Vorsichtsmaßnahme. In der Schweiz zählte es mit zu den schlimmsten Verbrechen, wenn man abreiste, ohne sein Hotelzimmer zu bezahlen. Luigi beschloss, außerhalb zu Mittag zu essen, vielleicht in der Bar des Baur en Ville.
Paula war auf ihr Zimmer geeilt, um sich für ihre Verabredung mit Roman Arbogast frisch zu machen. Als sie die Tür öffnete, glaubte sie, aus den Augenwinkeln einen Schatten auf dem Korridor gesehen zu haben, aber als sie sich umdrehte, war er verschwunden. Reiß dich zusammen,
Paula, sagte sie sich. Jetzt fängst du schon an, Gespenster zu sehen.
Auf dem Weg nach draußen sah sie, wie Newman das Hotel verließ, um in einem Reisebüro Fahrkarten erster Klasse nach Lugano zu besorgen.
Noch in Tweeds Suite hatte sie gehört, wie Newman von jenem den Auftrag dazu bekommen hatte. Ihr Chef reagierte wie immer schnell auf eine veränderte Lage.
»Es ist nur eine Vorsichtsmaßnahme«, hatte Tweed erklärt. »Aber ich glaube, wir haben jetzt einen Punkt erreicht, an dem unser unsichtbarer Feind jede nur erdenkliche List anwendet, um uns von seiner Spur abzubringen.«
Paula verließ das Hotel und eilte die Bahnhofstraße hinauf, die jetzt am Nachmittag wie ausgestorben war. Es war noch kälter geworden, und die Luft ließ Paula an Sibirien denken. Über der Stadt lag eine dichte, dunkle Wolkendecke.
Bevor Paula in die Straße abbog, die zum ACTIL-Büro führte, hielt sie inne. Auch hier war kein Mensch zu sehen. Obwohl es zwischen den Häusern schon ziemlich dunkel war, konnte sie das rot-weiße Plastikband der Polizei erkennen, mit dem der hintere Teil der Straße noch immer abgesperrt war. Sonst aber gab es nichts, was auf eine Anwesenheit der Polizei hingedeutet hätte. Keinen Streifenwagen, keinen Polizisten, nichts. Paula fand das ein wenig unheimlich.
Von der gegenüberliegenden Straßenseite aus betrachtete sie das Gebäude. Weder in Arbogasts Büro noch in irgendeinem anderen Fenster brannte Licht. Seltsam. Paula sah auf die Uhr. Es war Punkt drei Uhr.
Entschlossen überquerte sie die Straße und läutete dreimal, ohne eine Antwort zu bekommen. Dann drückte sie vorsichtig gegen die Eingangstür. Sie war abgeschlossen.
Paula dachte an Arbogasts Bemerkung in Bezug auf Pünktlichkeit und wunderte sich. Da es jetzt zusehends dunkler wurde, fand sie es nicht sonderlich ratsam, noch
länger in dieser leeren Gasse zu verweilen, und ging deshalb zurück zur Bahnhofstraße. Dabei sah sie nicht, wie Nield, der ihr gefolgt war, sich gerade noch in einem Hauseingang verstecken konnte.
Auf dem Weg zum Hotel fragte sich Paula, warum Arbogast sie wohl versetzt haben mochte. Als sie die Halle betrat, sah sie, dass der Portier, der ihr den falschen Umschlag gegeben hatte, nicht mehr an der Rezeption war. Ein anderer, ihr völlig unbekannter Angestellter hatte dessen Platz eingenommen. Sie ging zu ihm und sprach ihn an.
»Könnten Sie bitte für mich in Mr. Arbogasts Zimmer anrufen? Ich bin mit ihm verabredet.«
»Herr Arbogast ist außer Haus«, sagte der Mann nach einem Blick auf das Schlüsselbrett.
»Wo ist denn
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