Die Klinge
Ihr Kollege von heute Mittag?«, fragte sie.
»Der arbeitet nicht mehr hier«, antwortete der Mann von oben herab. »Er war ohnehin nur zur Aushilfe da.«
Wahrscheinlich hat man festgestellt, wie unfähig er war, dachte Paula, während sie mit dem Lift nach oben fuhr. Tweed und die anderen waren bereits in Tweeds Suite versammelt, nur Nield fehlte. Gerade als Paula ihnen von ihrer geplatzten Verabredung erzählte, kam er angehetzt.
»Das ist wirklich seltsam«, meinte Tweed. »Ich habe Arbogast eigentlich für extrem zuverlässig gehalten. Was kann ihm denn dazwischengekommen sein?«
»Alles Mögliche«, sagte Newman düster. »Denken Sie nur daran, was anderen Leuten hier schon zugestoßen ist.«
Paula zog ihren Mantel aus und setzte sich mit ernstem Gesicht in einen Lehnsessel, von dem aus sie die anderen alle sehen konnte. Jetzt war eine gute Gelegenheit, ihnen ihre Sicht des Falles zu schildern.
»Beginnen wir mit der Axt«, sagte sie. »Sie wurde dazu benutzt, vier Menschen an vier verschiedenen Orten zu enthaupten. Der Mörder, wer immer er auch sein mag,
muss sie irgendwie von Maine nach Großbritannien und schließlich hierher transportiert haben …«
»Darf ich hier kurz einflechten, dass Dr. Zeitzler, der hiesige Gerichtsmediziner, zweifelsfrei festgestellt hat, dass Elena Brucan ebenfalls mit dieser Axt getötet wurde?«, unterbrach sie Tweed. »Beck hat mir das vor ein paar Minuten mitgeteilt. Zeitzler hat die Wunde an Elenas Hals mit den Fotos seines Bostoner Kollegen verglichen. Sie haben also Recht, Paula, der Mörder muss diese sperrige Waffe von einem Tatort zum anderen befördert haben.«
»Die Vorstellung ist grässlich«, fuhr Paula fort, »aber gleichzeitig gibt uns das vielleicht einen Hinweis auf den Mörder. Höchstwahrscheinlich schleppt er nämlich nicht nur die Axt, sondern auch den Richtblock mit sich herum. Ich habe Abdrücke davon im Gras in der Nähe der Tatorte in Pinedale und Bray gefunden. Auch auf der Promenade am Flüsschen Sihl hier in Zürich, wo Elena Brucan abgeschlachtet wurde, muss der Richtblock gestanden haben, das haben die Blutspuren eindeutig ergeben.«
»Aber worin kann er beides transportiert haben?«
»Vielleicht in einem Koffer oder einer großen Aktentasche.«
Paula beugte sich vor, um ihren Worten mehr Nachdruck zu verleihen.
»Auf jeden Fall muss es ein Behältnis sein, das völlig normal und unauffällig aussieht. Und dann sind da auch noch die verschwundenen Köpfe.«
Die grauenvollen Bilder, die Paulas Worte heraufbeschworen hatten, ließen alle verstummen. Tweed, der die ganze Zeit über stehen geblieben war, faltete die Hände hinter dem Rücken und wandte sich an Paula.
»Bisher haben Sie bemerkenswert intelligente Schlüsse gezogen. Was meinen Sie also zu den Köpfen? Warum nimmt der Mörder sie mit? Was passiert damit?«
»Halten Sie mich jetzt bitte nicht für verrückt«, antwortete Paula, »aber ich glaube, dass der Mörder auch die Köpfe in besagtem Behältnis transportiert. Warum er das tut, darauf weiß ich allerdings auch keine Antwort.«
»Apropos Köpfe«, sagte Tweed. »Zeitzler möchte, dass jemand von uns zum Leichenschauhaus kommt und Elena Brucans Kopf identifiziert. Ich weiß, dass Sie Elena schon am Tatort erkannt haben, aber Zeitzler ist nun mal extrem gründlich. Er sagt, er braucht eine Identifikation, die auch vor Gericht standhält.«
»Dann gehe ich ins Leichenhaus«, sagte Paula ruhig.
»Aber nicht allein«, warf Newman ein.
»Nein, ich werde Paula begleiten«, sagte Tweed. »Schließlich habe auch ich Mrs. Brucan kennen gelernt. Aber wenn Sie sich den Anblick ersparen wollen, Paula, dann kann ich auch Newman mitnehmen.«
»Nein, ich gehe selbst«, sagte Paula bestimmt. »Das bin ich ihr schuldig.«
Beck fuhr sie höchstpersönlich zum Leichenschauhaus. Auf der Fahrt entschuldigte er sich dafür, dass er Paula und Tweed dieser Tortur unterziehen müsse, aber Tweed winkte ab. Als Beck dann Paula vorschlug, dass Tweed die Identifizierung ebenso gut allein vornehmen könne, erklärte sie ihm: »Das gehört nun mal zu meinem Job. Ich bin ein vollwertiges Mitglied unseres Teams. Also lassen Sie uns die Sache hinter uns bringen.«
Draußen war es bereits dunkel, was die düstere Stimmung in der Leichenhalle nur noch verstärkte. Dr. Zeitzler erwartete sie in einem großen Vorraum mit Steinfußboden und führte sie dann zu einer Tür, hinter der eine Treppe nach unten ging. Die Stufen schienen nicht enden zu
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