Die Klinge
erzählen, wie weit Sie Ihrerseits mit den Ermittlungen gekommen sind«, erwiderte Marienetta in leicht vorwurfsvollem Ton.
»Das mache ich lieber morgen früh, wenn es Ihnen recht ist.« Paula ging zur Tür. »Haben Sie vielen Dank für Ihre Gastfreundschaft.«
Marienetta stand nun ebenfalls auf. Als sie auf Paula zukam, glommen ihre Katzenaugen wie zwei Glühwürmchen.
»Ich habe Ihnen alles gesagt, was ich herausgefunden habe, und von Ihnen erfahre ich gar nichts«. Sie zog einen Schmollmund.
»Sie werden es erfahren. Morgen früh. Und jetzt Gute Nacht, Marienetta …«
Paula ging schnell zu ihrer Suite und hoffte, dass Marienetta ihr nicht folgte, was zum Glück auch nicht der Fall war. Obwohl sie hundemüde und völlig erschöpft war, sprang sie noch schnell unter die Dusche, bevor sie ihre üblichen Sicherheitsvorkehrungen für die Nacht traf.
Punkt drei Uhr morgens verließ Luigi in einem seriösen grauen Anzug gekleidet sein Zimmer. Er überprüfte kurz, ob die Feuertür am Ende des Korridors sich auch wirklich öffnen ließ, bevor er mit seiner Glock im Aktenkoffer über die menschenleeren Gänge zu Paula Greys Suite schlich.
28
Am nächsten Morgen erwachte Paula mit dem angenehmen Gefühl, zum ersten Mal seit vielen Tagen wieder richtig durchgeschlafen zu haben. Sie zog sich den Bademantel über und ging zur Tür. Bevor sie tags zuvor ins Bett gegangen war, hatte sie zwei Sicherheitsvorkehrungen getroffen.
Zuerst hatte sie einen stabilen Stuhl so an die Tür gestellt, dass seine Lehne die Klinke blockierte, und zweitens hatte sie den Gummikeil, den sie auf Reisen immer dabeihatte, mit der schmalen Seite in den Türspalt geklemmt. Jetzt stand die Tür fünf Zentimeter weit offen, und die Lehne des Stuhles bog sich gefährlich durch. Offenbar hatte jemand das Schloss geknackt und versucht, die Tür zu öffnen, war dabei aber an dem Gummikeil gescheitert, der sich umso fester unter den Türspalt geschoben hatte, je mehr der Eindringling versucht hatte, die Tür aufzudrücken.
Paula holte die Browning, die in der Nacht unter ihrem Kopfkissen gelegen hatte, und schlich vorsichtig zur Tür. Dort spähte sie durch den Spalt und lauschte angestrengt nach draußen. Erst als sie eine Minute lang nichts hörte, entfernte sie vorsichtig den Stuhl und stemmte sich mit ihrem ganzen Gewicht gegen das Türblatt, bis der Keil nachgab und die Tür laut ins Schloss fiel. Paula seufzte erleichtert auf.
Nachdem sie sich geduscht hatte, zog sie einen Wollpullover, einen wollenen Rock und ein paar bequeme Schuhe an. Dann nahm sie ihre Umhängetasche, in deren Geheimfach
sie zuvor die Browning verstaut hatte, und ging zu Tweeds Suite. Tweed war nicht allein.
Kurz bevor Paula zu ihm kam, hatte es an Tweeds Tür geklopft. Er war ziemlich erstaunt gewesen, als Nathan Morgan in Pelzmantel und Fellmütze vor ihm gestanden hatte. In dieser Aufmachung hatte er noch dicker und lächerlicher als sonst ausgesehen. Tweed hatte den ungebetenen Gast hereingelassen, ihm aber keinen Stuhl angeboten.
»Was verschafft mir das Vergnügen?«, hatte er gerade mit einem ironischen Lächeln gefragt, als Paula an seine Tür klopfte.
Tweed ließ sie herein. Sie musterte Morgan mit einem unterdrückten Grinsen, bevor sie sich in einem der Sessel niederließ. Tweed wiederholte seine Frage.
»Ich komme in geheimer Mission zu Ihnen«, antwortete Morgan wichtigtuerisch und blickte hinüber zu Paula. »Bitte verlassen Sie das Zimmer. Ich muss allein mit Ihrem Chef sprechen.«
»Ich dachte, es wäre inzwischen selbst Ihnen klar geworden, dass Miss Grey meine persönliche Assistentin ist, die schon seit vielen Jahren eng mit mir zusammenarbeitet. Außerdem steht sie kurz davor, den brutalen Massenmörder zu enttarnen, der auf zwei Kontinenten seine grauenhaften Verbrechen begangen hat.«
Ist er sich da sicher?, fragte sich Paula.
»Was soll das heißen?«, polterte Morgan los. »Schicken Sie sie jetzt hinaus oder nicht?«
»Muss ich Ihnen denn wirklich alles zweimal sagen?«, sagte Tweed so liebenswürdig wie möglich. »Miss Grey bleibt, und damit basta.«
»Verdammt kalt hier in der Schweiz«, brummte Morgan. »Viel kälter als bei uns zu Hause.«
Auf seinem ausdruckslosen Gesicht standen dicke Schweißtropfen. Liebend gern hätte er wohl den schweren
Pelzmantel ausgezogen, aber bisher hatte ihn niemand dazu aufgefordert. Schwer atmend begann er zu reden.
»Ich komme geradewegs vom Flughafen. Mein Auftrag lautet, Sie sofort zurück
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