Die Klinge
Augenblick trat ein Mann vor die Schiebetür ihres Abteils und riss sie auf. Paula erkannte den Bankier, der zuvor nach dem Weg zum Speisewagen gefragt hatte, nur dass er dieses Mal eine Pistole in der Hand hielt. Die Mündung zielte geradewegs auf sie. Dann fielen dicht hintereinander zwei Schüsse, und der Mann im schwarzen Anzug sackte zu Boden. Eine der Kugeln hatte ihm den halben Schädel weggerissen, sodass Wände und Fenster mit Blut und Gehirnmasse bespritzt waren. Ohne eine Miene zu verziehen, schob Tweed seine Walther zurück in das Halfter. Newman wandte sich besorgt an Paula.
»Fehlt Ihnen was?«
»Nein, mir geht es gut. Und da ist auch schon Beck. Gott sei Dank.«
32
Sie begaben sich schnell in den Warteraum des Bahnhofs, um weder von den Arbogasts noch von Russell Straub gesehen zu werden. Nach einer halben Stunde öffnete Beck die Tür und kam herein.
»Sie können jetzt zu Ihrem Hotel fahren«, sagte er. »Die Arbogasts und der Vizepräsident sind von Limousinen abgeholt worden. Ich kann Ihre Aussage später aufnehmen, Tweed. Zum Glück habe ich vom Bahnsteig aus gesehen, wie der Killer mit der Pistole in ihr Abteil zielte. Sie haben verdammt schnell reagiert, aber nehmen Sie sich trotzdem in Acht. Immerhin läuft unser Serienmörder immer noch frei herum. Ich werde mich später bei Ihnen melden.«
Auf dem Weg zu den zwei Taxis, die Beck für sie bestellt hatte, hielt Tweed es nicht für nötig, seinem Schweizer Kollegen zu sagen, dass er die Walther fast die ganze Bahnfahrt über in der Hand gehalten hatte. Seit Luigi im Tunnel die Tür zu ihrem Abteil geöffnet und nach dem Weg zum Speisewagen gefragt hatte, war er auf der Hut gewesen. Nur manchmal hatte er die Hand aus der Jacke genommen und sie aufs Knie gelegt, um den Schweiß abzuwischen und die Finger zu strecken.
Paula fuhr mit Tweed, Marler und Newman in dem einen der Taxis, Nield und Butler folgten im zweiten. Um sich von ihrem Schock wenigstens etwas abzulenken, schaute Paula die ganze Fahrt über aus dem Fenster. Was sie sah, gefiel ihr schon jetzt besser als der nördliche Teil der Schweiz.
Die Sonne schien aus einem strahlend blauen Himmel auf die Straße, die in engen Kurven hinunter nach Lugano führte. Zwischen einzelnen Häusern erhaschte Paula hin und wieder einen Blick auf das hellblau schimmernde Wasser des Sees, an dessen anderem Ufer majestätisch hohe Berge aufragten. Am Straßenrand standen Palmen und Zypressen, und Blumen blühten blutrot auf den Fensterbänken. Hier war man wirklich im Süden.
Ein Hotelpage brachte Paula und ihren Koffer mit dem Lift hinauf in ihr geräumiges Zimmer mit großem Doppelbett. Dort öffnete er eine große Schiebetür und ließ Paula hinaus auf den Balkon treten, von dem aus sie einen wunderbaren Ausblick auf den See und die Berge hatte, unter denen zwei hohe, fast dreieckig geformte Gipfel ihr besonders auffielen. »Dahinter liegt Italien«, sagte der Page und deutete auf einen Pass zwischen den beiden Gipfeln.
»Danke.«
Paula gab dem Mann ein großzügiges Trinkgeld und war froh, endlich allein zu sein. Sie brauchte etwas Zeit für sich. Nachdem sie eine Weile das herrliche Panorama bewundert hatte, riss sie sich los und packte ihren Koffer aus.
Während sie ihre Garderobe in Schränken und Kommoden verstaute und ihre Toilettenartikel im luxuriösen Badezimmer unterbrachte, musste sie immer wieder an die Explosion der Gewalt im Zug denken, die keine fünf Sekunden gedauert hatte. Newman hatte nach seiner Smith & Wesson gegriffen, war aber viel zu langsam gewesen. Hätte Tweed nicht auf einmal die Walther in der Hand gehabt und kurz hintereinander die beiden Schüsse abgegeben, wer weiß, ob sie dann noch am Leben wäre. Die Kugeln hatten dem Killer das halbe Gesicht und einen Großteil seiner Stirn weggerissen. Dann war Beck aufgetaucht, der aus irgendeinem Grund bereits in Bellinzona in den Zug gestiegen war. Auch er hatte eine Automatic in der
Hand gehabt, die aber nicht zum Einsatz kam. Auch er wäre zu spät gekommen.
Gerade als Paula mit dem Auspacken fertig war, klopfte es an der Tür. Sie öffnete und ließ Tweed herein, dem ein Kellner mit einer Flasche Champagner folgte, die in einem Eiskübel steckte.
»Nur herein …«, sagte Paula.
Der Kellner öffnete die Flasche und füllte zwei Champagnerkelche. Dann stellte er noch eine Flasche stilles Mineralwasser und zwei weitere Gläser auf den Tisch und verschwand. Kaum hatte er das Zimmer verlassen, brach Paula in Tränen
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