Die Klinge
nur ab und zu hatte Paula freie Sicht auf das felsige Gelände beiderseits der Straße.
Nach einem letzten, besonders steilen Anstieg ging es dann mehr oder weniger flach dahin. Bald kam Paula in eine Ortschaft mit alten Häusern. Die Rücklichter des Audis waren verschwunden. Paula fragte sich, wer wohl darin sitzen mochte.
Langsam fuhr sie die Dorfstraße entlang. In keinem der Häuser brannte Licht. Erst nach einer Weile erkannte Paula, warum das so war: Einige der Häuser hatten eingeschlagene Fensterscheiben, bei anderen waren die Dachstühle zusammengebrochen. Verdammt, dachte Paula. Das ist ein Geisterdorf. Hier lebt schon seit langem niemand mehr. Ein unheimliches Gefühl beschlich sie.
Auf einmal lichtete sich der Nebel, und Paula trat aufs Gas in der vagen Hoffnung, den Audi vielleicht doch noch einzuholen. Nirgends gab es eine Abzweigung, die der Wagen hätte nehmen können, er musste also immer noch auf dieser Straße sein. Paula biss die Zähne zusammen. Die Ortschaft schien kein Ende nehmen zu wollen. Ob sie wohl in eine Falle fuhr? Als sie endlich das Ortsende erreicht hatte, atmete sie erleichtert auf. Geschafft, dachte sie. Allmählich
kamen ihr die Umstände, unter denen diese Fahrt zustande gekommen war, reichlich seltsam vor. Warum war Black Jack nicht mit ihr gekommen? Hatte er vielleicht auf Befehl von Roman Arbogast gehandelt?
In ihrer Freude, das gespenstische Dorf hinter sich gelassen zu haben, hätte sie fast die Abzweigung übersehen, die Black Jack auf seiner Skizze eingezeichnet hatte. Als sie die mit Kopfsteinen gepflasterte Straße im Licht der Scheinwerfer auftauchen sah, bremste sie scharf. Die Straße führte steil nach links den Berg hinab. Wegen des ungewohnten Pflasters fuhr Paula langsam. Manchmal, wenn die Straße enger wurde, sah sie auf den Felsen am Straßenrand Reifen- und Ölspuren. Fast kam es ihr so vor, als ob große Lastwagen hier gefahren wären. Aber weshalb? Und wohin?
Im letzten Stück führte die Straße so steil nach unten, dass Paula früher als erwartet den See wieder vor sich sah. Langsam fuhr sie nach rechts, parallel zum weiter unten gelegenen Ufer. Als der Mond wieder durch die Wolken kam, hielt sie an. Direkt vor ihr stand, geduckt wie ein Raubtier, das Haus, das sie auf dem Gemälde gesehen hatte. In natura kam es Paula noch unheimlicher vor als auf dem Bild.
Sie blieb erst mal eine Weile im Wagen sitzen und suchte die Umgebung des Hauses nach irgendeinem Anzeichen menschlichen Lebens ab. Nirgends war ein Licht zu sehen. Dann ließ Paula das Fenster herunter und lauschte hinaus in die Nacht. Die Stille war so beunruhigend, dass sie fast hoffte, etwas zu hören. In dem Moment kam der Nebel zurück und verhüllte Haus und See.
Neben Paula auf dem Beifahrersitz lag ein großer Schirm mit Metallspitze, den sie aus dem Schirmständer in der Hotelhalle mitgenommen hatte. Sie wusste nicht, warum sie das getan hatte, aber jetzt war sie froh darum, weil der Schirm ihr Schutz vor dem feucht-nebligen Nieselregen
bieten würde. Es war an der Zeit, dem düsteren Haus einen Besuch abzustatten.
Paula nahm den Schirm und ihre Taschenlampe, stieg aus und schloss den Wagen ab. Der Nebel fühlte sich unangenehm feucht auf der Haut an, weshalb sie sofort den Schirm aufspannte. Die kopfsteingepflasterte Straße führte weiter bis zu dem Haus, wo eine Holztreppe mit Geländern auf beiden Seiten hinauf zur Eingangstür führte. Das Holz sah aus, als ob es sehr alt wäre.
Paula stieg die Treppe hinauf und war schon fast oben angelangt, als eine Stufe unter ihrem Tritt nachgab. Zum Glück war das Geländer, an dem Paula sich festhielt, nicht ebenfalls morsch. Paula fragte sich, ob es wirklich so eine gute Idee gewesen war, hierher zu kommen. Sie war mutterseelenallein, und niemand wusste, wo sie war. Zumindest niemand, der ihr freundlich gesinnt war. Irgendetwas war seltsam an diesem Haus. Aber so leicht wollte Paula nicht aufgeben. Sie betrat die Veranda und ging weiter zur Eingangstür, deren Schloss sich im Licht der Taschenlampe als höchst modernes Sicherheitsschloss entpuppte. Vorsichtig griff Paula nach der Türklinke, drückte sie hinunter und schob die Tür nach innen. Sie war nicht verschlossen.
Auch das war nicht gerade beruhigend. War vielleicht jemand im Haus? Paula klemmte sich die angeschaltete Taschenlampe unter den Arm, klappte den Regenschirm zu und holte die Browning aus der Schultertasche. Dann drückte sie die Tür so weit auf, bis sie an die
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