Die Klinge
Wand stieß. So konnte sie sicher sein, dass ihr niemand dahinter auflauerte. Mit der linken Hand tastete Paula die Wand neben dem Türrahmen ab, bis sie einen Lichtschalter fand. Sie legte ihn um, und augenblicklich gingen mehrere Lampen an. Paula stand in einem breiten, völlig leeren Flur mit Holzfußboden. An der linken Wand befand sich eine weitere Tür, die offen stand. Weil Paula nicht mehr als nötig
auf ihre Gegenwart aufmerksam machen wollte, schaltete sie das Licht sofort wieder aus.
Seit dem Erlebnis mit der Treppenstufe war sie vorsichtig, was die bauliche Stabilität des Hauses anlangte, und so blieb sie erst einmal stehen und lauschte. Die Stille ringsum war so tief, dass sie Paula schon fast wieder wie ein eigenes Geräusch vorkam. Vorsichtig ging sie auf die offene Tür zu.
Mit der Spitze des Regenschirms prüfte sie die Fußbodenbretter auf Festigkeit und blieb alle paar Schritte stehen, um sich umzuhören.
Hin und wieder hörte sie ein Knacken, das sie aber auf das Alter des Hauses zurückführte. Sie hatte vielleicht die Hälfte des Ganges hinter sich, als sie bemerkte, wie der Fußboden unter ihr gefährlich zu schwanken begann. Mit der Spitze des Regenschirms stocherte sie so lange auf den Bohlen vor ihren Füßen herum, bis sich ein großes Stück davon löste und nach unten fiel. Paula bückte sich vorsichtig, und leuchtete mit der Taschenlampe in das Loch hinunter.
Dort, wo sie im nächsten Augenblick hingetreten wäre, war ein großes Stück des Fußbodens eingebrochen und gab den Blick in einen tiefen, in den Fels gehauenen Keller frei, aus dem ihr im Strahl der Taschenlampe zwei rote Punkte entgegenfunkelten. Erst nach längerem Hinsehen erkannte sie, dass es die Augen einer riesigen Ratte waren, die interessiert zu ihr heraufstarrte. Nicht auszudenken, wenn Paula auf die morschen Bohlen getreten und hinab in den Keller gestürzt wäre …
Da wäre ich nie wieder rausgekommen, dachte sie. Zu der Ratte, die einen langen, ekelhaft nackten Schwanz hatte, war inzwischen noch eine zweite hinzugekommen. Die widerlichen Tiere fiepten leise vor sich hin, als witterten sie frisches Fleisch. In dem Kellerverlies, das über keinerlei Türen verfügte, wäre sie ihnen schutzlos ausgeliefert
gewesen - falls sie sich bei dem Sturz aus gut sieben Metern Höhe nicht gleich das Genick gebrochen hätte. Paula erhob sich und ging vorsichtig um das Loch herum, wobei sie den Boden vor sich nun noch sorgfältiger mit dem Regenschirm abtastete. Dieses Haus war ganz und gar nicht nach ihrem Geschmack. Auf einmal hörte sie von draußen ein polterndes Geräusch und blieb wie angewurzelt stehen. Es hörte sich an, als ob jemand dicht am Haus über Geröll gelaufen wäre. Ohne in Panik zu verfallen, machte Paula kehrt und arbeitete sich langsam unter Einsatz von Taschenlampe und Regenschirm wieder zurück in Richtung Eingangstür. Bloß nicht in diesen Keller stürzen, um von den hungrigen Ratten bei lebendigem Leib gefressen zu werden!
Als an der Tür ankam, die sie weit offen hatte stehen lassen, sah sie, dass der Mond wieder hinter den Wolken hervorgekommen war. Sie schaltete die Taschenlampe aus, spähte nach draußen - und erschrak. In den langsam vorbeiziehenden Nebelschwaden, die ihren Peugeot fast vollständig einhüllten, sah sie auf einmal eine nur als schemenhafte Silhouette zu erkennende Gestalt, die sich an ihrem Auto zu schaffen machte. Paula hob ihre Browning, zielte sorgfältig und gab einen Schuss ab. Die Gestalt verschwand augenblicklich. Paula klemmte sich den Regenschirm unter den Arm, nahm die Taschenlampe in die linke Hand und umfasste die Browning noch fester.
In der unheimlichen Stille stieg sie vorsichtig die Treppe hinab und über das Loch in der morschen Stufe hinweg. Unten blieb sie stehen und lauschte abermals. Plötzlich wurde die Stille vom Lärm eines startenden Autos zerrissen. Paula konnte den Wagen nicht sehen, der sich mit laut aufheulendem Motor rasch entfernte. Erst als er den steilen Berg hinaufraste, sah sie seine Rücklichter, die aber gleich darauf hinter einer Kurve verschwanden. Paula rannte zu ihrem Peugeot und leuchtete mit der Taschenlampe ins
Innere des Wagens, bevor sie einstieg. Sie verriegelte die Türen, steckte den Zündschlüssel ins Zündschloss und drehte ihn herum. Nichts. Paula versuchte es noch einmal. Wieder nichts. Der Motor gab keinen Laut von sich. Jetzt saß sie an diesem gottverlassenen, unheimlichen Ort fest, und bitterkalt war es auch
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