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Die Klinge

Titel: Die Klinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Forbes
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selbst weiter den Hang hinaufstiegen. Sie versuchte alles, um umzukehren, aber die Füße wollten ihr einfach nicht gehorchen, sondern transportierten sie immer weiter den riesigen Silhouetten entgegen. Obwohl hinter ihnen die Sonne noch immer nicht aufgegangen war, wurde die vielfarbige Morgendämmerung immer intensiver.
    »Ich will da nicht hinauf!«, protestierte eine angsterfüllte Stimme in Paulas Kopf.
    Aber ihre Füße stapften erbarmungslos immer weiter nach oben. Paula hatte völlig die Kontrolle über sie verloren. Das Geräusch der Riesen war mittlerweile verstummt, und die schreckliche Stille war zurückgekehrt. Paula öffnete den Mund, um zu schreien, brachte aber keinen Ton heraus. Die Stille war so bedrohlich, so voller Gefahr. War sie dabei, verrückt zu werden?
    Dann wurde das Licht der Morgendämmerung immer heller. Der Nebel zog sich noch weiter zurück, so als wollte er sie weiter nach oben locken. Paula glaubte, das gemächliche Läuten einer Kirchenglocke zu hören, ein Geräusch, das ihr seit ihrer Kindheit verhasst war. Die Pausen zwischen den einzelnen Schlägen waren so lange, dass Paula manchmal meinte, das Läuten habe aufgehört, aber immer wieder fing es von neuem an.

    Das rosa, orangefarbene und grüne Leuchten hatte sich zu einem Lichtband verdichtet, und plötzlich konnte Paula die Silhouetten deutlich erkennen. Ihre Füße trugen sie jetzt noch schneller aufwärts, während sie sich ungläubig staunend umsah.
    Vor ihr standen auf halbem Weg zum Gipfel zwei große, hohe Steintürme, die mit einer Mauer verbunden waren. Es waren die beiden alten Türme, die sie hinter Airolo aus dem Fenster des Cisalpinos gesehen hatte, nachdem dieser den Gotthardtunnel verlassen hatte. Aber wie war sie aus dem weit entfernten Lugano so schnell hierher gekommen?
    Schweißgebadet wachte Paula auf und stellte fest, dass sie sich mit beiden Händen fest in die völlig verwickelte Bettdecke gekrallt hatte.
     
    Zur selben Zeit saß Tweed im Schlafanzug am Tisch, auf dem eine Karaffe mit Wasser stand, und arbeitete an einer schwierigen Aufgabe. Vor ihm lag der Notizblock, den Paula in der Nähe des alten Hauses gefunden hatte.
    Er hatte das erste Blatt mit den Buchstaben CH----- nach hinten geschlagen. Das unvollständige Wort war in einer Blockschrift geschrieben, die Tweed an die eines intelligenten Kindes erinnerte. Mittlerweile war er sich völlig sicher, dass die Buchstabenfolge nur »Chiasso« heißen konnte. Das war der Ort, der an der Grenze nach Italien lag. Auch das zweite Blatt, auf dem jemand sorgfältig ein Wort durchgekritzelt hatte, interessierte ihn nicht. Stattdessen widmete er sich dem dritten Blatt, auf dem sich das überkritzelte Wort ganz leicht durchgedrückt hatte.
    Mit einem Bleistift schraffierte er ganz vorsichtig über die ins Papier eingedrückten Linien und hoffte, auf diese Weise das Geschriebene wieder hervorrufen zu können. Dabei ließ er sich viel Zeit und ging ganz behutsam vor. Würde er zu fest aufdrücken, wäre das Wort für immer unlesbar.

    Um vier Uhr früh hatte er es endlich geschafft. Er legte den Bleistift beiseite und betrachtete das Wort, das er auf dem Blatt hervorgezaubert hatte. Es ergab keinen Sinn.
    Tweed zündete sich eine seiner seltenen Zigaretten an und versuchte, das Wort in Verbindung mit den Ereignissen der letzten Zeit zu bringen. Lange starrte er auf das Wort, als könnte er ihm so sein Geheimnis entreißen.
    Es lautete Airolo.

35
    Schon gegen sieben Uhr morgens verließ Paula ihr Zimmer, weil sie Tweed unbedingt von ihrem Albtraum erzählen wollte. Sie ging gerade den Korridor entlang, als sich eine Tür hinter ihr öffnete. Marienetta trat heraus. Mit festem Griff nahm sie Paula am Arm und zog sie in ihr Zimmer.
    »Paula, wir müssen unbedingt miteinander reden und vergleichen, was wir bisher herausbekommen haben. Ich möchte wissen, ob wir mit unseren Nachforschungen Fortschritte machen.«
    »Aber nur kurz. Ich muss nämlich dringend etwas erledigen.«
    »Möchten Sie Kaffee? Ich habe mir gerade welchen bringen lassen. Sie sehen aus, als hätten Sie nicht gut geschlafen. Was Sie da anhaben, gefällt mir übrigens. Taubenblau steht Ihnen ausgezeichnet. Aber setzten Sie sich doch. Sie wissen wahrscheinlich, dass ich die Leiche von Black Jack identifiziert habe. Beck hat mich darum gebeten, weil Black Jack und ich uns recht gut kannten. Ich habe die Sache hinter mich gebracht, kann aber nicht sagen, dass ich so etwas gern wiederholen würde.«

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