Die Klinge
ich mich wirklich wohl.«
Marienetta nahm einen Hammer und klopfte damit fest auf die Schulter einer Steinskulptur, die einen halb liegenden, halb sitzenden Mann darstellte. Der Arm brach ab, und Marienetta legte den Hammer mit einem Achselzucken auf den Tisch zurück.
»Mit der werde ich wohl noch einmal von vorn anfangen müssen«, sagte sie.
Tweed war unterdessen an den Kamin getreten, auf dessen Sims eine kleine Skulptur stand. Er nahm sie vorsichtig in die Hand und drehte sich dann zu Marienetta um.
»Ist die auch von Ihnen?«
»Sie haben ein gutes Auge für Kunst, Mr. Tweed. Aber leider stammt diese Maquette nicht von mir, sondern von Henry Moore. Roman hat sie mir geliehen, zur Inspiration. Er hat dafür auf einer Auktion ein Vermögen gezahlt.«
»Eigentlich gehört so etwas ja in ein Museum«, sagte Tweed.
»Wie Recht Sie haben. Und wissen Sie, was? Ich hätte für mein Leben gern ein eigenes Museum. Vielleicht erfülle ich mir ja eines Tages diesen Traum.«
Während Tweed die wertvolle Maquette vorsichtig zurück auf den Kaminsims stellte, wanderte Paula zu der Staffelei mit dem Porträt von Arbogast. »Sie malen auch?«, fragte sie Marienetta, die ihr gefolgt war.
»Ach, ich dilettiere ein bisschen vor mich hin, wenn ich den Kopf für andere Sachen frei bekommen muss.«
»Es ist Ihrem Onkel sehr ähnlich. Sie haben ihn perfekt getroffen.«
»Drehen Sie das Bild um, auf der Rückseite ist noch ein Gemälde.«
Paula fasste das Bild am oberen Rand. Es war auf Karton gemalt, nicht auf Leinwand. Nachdem sie es umgedreht und zurück auf die Staffelei gestellt hatte, trat sie einen Schritt zurück und erschrak.
Auch das zweite Bild zeigte Roman, aber er sah fürchterlich darauf aus. Sein Gesicht war verzerrt und aufgedunsen, der Mund aufgerissen, sodass zwei Reihen kleiner, spitzer Zähne zum Vorschein kamen. Der Ausdruck mörderischer Wut wurde noch dadurch verstärkt, dass eines der böse funkelnden Augen nach unten verrutscht war. Paula hatte das Gefühl, als würde sich das Gesicht gleich auf sie stürzen, um die Zähne in sie zu schlagen. Ihr Herz schlug schneller. Das Gemälde war wirklich Furcht einflößend.
»Als ich das gemalt habe, war Onkel Roman in ziemlich mieser Stimmung«, sagte Marienetta gelassen und drehte das Bild wieder um.
»Vielleicht hatte er etwas Schlechtes gegessen«, bemerkte Newman trocken, der Paula über die Schulter spähte.
Marienetta fing erst leise zu kichern an, ehe sie in schallendes Gelächter ausbrach und kaum mehr damit aufhören konnte. Schließlich tupfte sie sich den Mund mit einem seidenen Taschentuch und wandte sich an Newman.
»Ich mag Ihren Humor, Bob. Das war wirklich lustig.«
Paula warf Tweed einen Blick zu und bemerkte, dass er starr mitten im Zimmer stehen geblieben war und ein grimmiges Gesicht machte. So hatte Paula ihn selten erlebt.
3
Marienetta begleitete sie im Expressaufzug nach unten. Als sie aus dem Lift traten, wechselte sie kurz ein paar Worte mit einem uniformierten Wachmann. Tweed ging mit Paula bereits zum Ausgang, während Newman seinen hinterlegten Revolver und seine Munition wieder an sich nahm. Kurz vor der Drehtür kam Broden auf sie zu. Er hatte seinen grauen Businessanzug gegen eine Sportjacke aus grobem Stoff und Cordsamthosen eingetauscht. Dazu trug er kniehohe Lederstiefel. Wie ein echter Wildhüter, dachte Paula.
»Ich hoffe, es hat Ihnen bei unserem Katzenweib gefallen«, bemerkte er anzüglich.
»Katzenweib?«, sagte Paula.
»So nennt die Belegschaft Marienetta hinter ihrem Rücken. Jasper holt gerade Ihren Wagen, Newman.«
»Ihnen scheint nicht klar zu sein, wie weit Ihre Stimme trägt«, sagte auf einmal Marienetta, die sich unbemerkt zu ihnen gesellt hatte und Broden jetzt ein strahlendes Lächeln schenkte. »Aber hätten Sie nun vielleicht die Güte und würden draußen nachsehen, ob Mr. Tweed und seine Begleitung das Gebäude gefahrlos verlassen können?«
Broden presste die Lippen aufeinander und ging hinaus. Eine Minute später gab er grünes Licht, und die drei Besucher mussten wie zuvor einzeln die Drehtür passieren. Draußen auf der Straße packte Paula ihren Chef am Arm.
»Sehen Sie nur. Da drüben auf der anderen Straßenseite steht immer noch diese merkwürdige Frau.«
»Welche merkwürdige Frau?« Tweed war mit seinen Gedanken ganz woanders.
»Die kleine unscheinbare Frau mit dem hellgrünen Mantel und dem dunklen Pelzhut.«
»Wie ich vorhin schon sagte, in London gibt es die seltsamsten
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