Die Klinge
Gestalten.«
»Welche Frau meinen Sie denn?«, wollte Broden wissen, der neben die beiden getreten war. »O ja, ich sehe sie. War sie etwa schon da, als Sie kamen?«
»Da bin ich mir jetzt plötzlich gar nicht mehr so sicher«, erwiderte Paula rasch. »Wahrscheinlich ist es auch nicht so wichtig.«
»Jasper«, rief Broden dem Portier zu, »überprüfen Sie doch mal die Frau mit dem Pelzhut da drüben auf der anderen Straßenseite. Ich will wissen, was sie dort zu suchen hat.«
Broden verschwand wieder im Gebäude, während Tweed die Treppe hinabging und dann auf dem Beifahrersitz von Newmans Wagens Platz nahm. Paula spähte noch einmal neugierig zu der kleinen Frau hinüber, aber dann fuhr Newman bereits los und bog gleich darauf in eine Seitenstraße ab.
»Ich hoffe, Jasper entdeckt ihre Kamera nicht«, sagte Paula.
»Welche Kamera?«, fragte Tweed und drehte sich um.
»Die Frau hatte eine kleine Kamera in der Hand. So eine, wie ich sie auch habe. Sie hat damit in dem Moment Fotos gemacht, als wir gekommen sind. Auch gerade bei unserem Abschied.«
»So was ist nicht verboten«, sagte Tweed. »Sagen Sie mir lieber, was Sie von den Arbogasts halten.«
»Eine sehr ungewöhnliche Familie. Man konnte in Roman Arbogasts Büro geradezu spüren, wie viel Hass in der Luft lag.«
»Sophie fühlt sich offensichtlich vernachlässigt«, meinte Newman. »Aber irgendwie mochte ich sie. Sie ist sehr intelligent, auch wenn sie auf den ersten Blick wie eine graue Maus erscheint.«
»Marienetta war aber sehr nett zu ihr.«
»Das mag ja alles sein, aber offenbar ist Ihnen beiden nicht aufgefallen, dass eine Sache mit keinem Wort erwähnt wurde. Arbogast hat nicht ein Wort über den Besuch des amerikanischen Vizepräsidenten verloren. Dabei bin ich davon überzeugt, dass Straub mit Roman Arbogast verabredet war. Mit wem hätte er sonst sprechen wollen? Welche Verbindung besteht wohl zwischen diesen beiden Männern?«
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass Arbogast großen Einfluss auf die Wählerstimmen in den Vereinigten Staaten hat«, stellte Newman nüchtern fest. »Und Wählerstimmen sind schließlich das Einzige, was Politiker interessiert. Wahrscheinlich steckt etwas ganz Banales hinter diesem Besuch.«
»Wer weiß«, sagte Tweed.
Auch auf dem Rückweg steckten sie wieder im Stau. Vor ihnen reihte sich, so weit das Auge reichte, eine schier endlose Schlange von Stoßstange an Stoßstange stehenden Autos, die zwischen den rechts und links der Straße aufragenden Hochhäusern zum Stillstand gekommen waren. Auf den Trottoirs drängten sich die Fußgänger, und vor einem Schnellimbiss standen ein paar junge Mädchen und verschlangen wenig appetitliches Fastfood aus fettigen Papiertüten.
Paula verzog angewidert das Gesicht. »So etwas kann doch nicht gesund sein.«
Sie ließ das Fenster auf ihrer Seite nach oben fahren. Der Himmel war dunkel und wolkenverhangen, und über der Stadt lag eine dichte Dunstglocke aus Abgasen und Benzindämpfen.
»Das Leben in London wird allmählich zur reinsten Hölle«, sagte sie.
»Apropos Hölle«, sagte Newman. »Was sagen Sie denn zu Marienettas zweitem Porträt von ihrem Onkel? Da sieht er ja aus wie der Leibhaftige.«
»Wie ein richtiges Ungeheuer«, stimmte Paula ihm zu.
»Meiner Ansicht nach hat sich Marienetta, wie viele andere Maler auch, von berühmten Künstlern inspirieren lassen«, erklärte Tweed. »Bei der Malerei von Picasso und bei der Bildhauerei von Henry Moore.«
»Picasso hat selbst in seinen schlimmsten kubistischen Phasen nie so schreckliche Bilder gemalt wie dieses Porträt von Roman Arbogast.«
Zum Glück löste sich der Stau langsam auf, und nach einiger Zeit waren sie wieder in die Park Crescent zurückgekehrt. Dort saß wartend ein Mann auf der Treppe vor dem Eingang.
»Der hat mir gerade noch gefehlt«, stöhnte Newman. »Das ist Sam Snyder, leitender Kriminalreporter bei der Daily Nation . Ein elender Schnüffler, der zwar gut ist - das muss der Neid ihm lassen -, aber völlig skrupellos, wenn es um die Gefühle anderer geht. Lassen Sie ihn bloß nicht rein, Tweed.«
Tweed stieg als Erster aus dem Wagen und ging raschen Schrittes die Treppe hinauf, als der Reporter ihn ansprach.
»Mr. Tweed. Vielleicht interessiert es Sie, zu erfahren, dass der erste Mord in Maine morgen groß in der Zeitung steht. Ich bin nämlich gerade aus den Staaten zurückgekommen.«
Tweed blieb wie angewurzelt stehen. Er hatte gerade auf den Klingelknopf drücken
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