Die Klinge
Waffe um, nach einem dicken Ast vielleicht, aber sie fand nichts. Schließlich drehte sie sich in die Richtung, aus der die Schritte kamen.
Im Nebel konnte sie undeutlich eine große Gestalt erkennen, die einen langen schwarzen Mantel trug. Die breite Krempe des Schlapphuts verdeckte das Gesicht, das Paula nur als verschwommenen, hellen Fleck wahrnahm. Sie versuchte davonzulaufen, aber ihre Beine wollten ihr nicht gehorchen und waren schwer wie Blei.
Die Gestalt kam immer näher, und der lange schwarze Mantel schwang im Rhythmus der Bewegungen hin und her. Paula, der die Angst die Kehle zuschnürte, konnte sie jetzt ganz deutlich sehen. Und dann flog der Gestalt, obwohl sich kein Lüftchen regte, auf einmal der Hut vom Kopf. Paula wollte schreien, bekam aber keinen Ton heraus, während sie in eine grauenvolle, von Hass verzerrte Fratze blickte. Es war das Gesicht von Roman Arbogast, so wie Marienetta es gemalt hatte.
In der rechten Hand hielt er eine langstielige Axt, mit der er im Näherkommen mächtig ausholte. Paulas Füße waren wie angewurzelt. Sie sah, wie Arbogast mit dem stumpfen Ende der Axt nach ihr hieb, um sie bewusstlos zu schlagen, bevor er sie enthauptete. Paula schrie. Von irgendwoher kam auf einmal ein hämmerndes Geräusch, und sie erwachte schweißgebadet. Ohne richtig denken zu können, stand sie auf und tappte im Schlafanzug zur Tür. Nachdem sie mit zitternden Fingern aufgesperrt hatte, stand Tweed im Morgenmantel vor ihr.
»Ich wollte gerade zu Ihnen«, sagte er. »Als ich vor Ihrer Tür war, habe ich Sie schreien gehört. Was ist passiert? Ist alles in Ordnung?«
»Es geht mir gut, ich hatte nur einen Albtraum. Wahrscheinlich wurde er durch den Anblick der Garderobe in Mannix’ Zimmer ausgelöst.«
»Trinken Sie ein Glas Wasser, am besten zwei. Das hilft.«
»Das werde ich tun. Aber was machen Sie vor meiner Tür?«
»Beck hat mich gerade angerufen. Sie haben die Leiche gefunden. Das Patrouillenboot hat sie aufgefischt und zu dem pic-bot gebracht. Habe ich das richtig ausgesprochen?«
»Ihr Französisch ist perfekt. Ich bin in zehn Minuten fertig.«
»Ich komme wieder und hole Sie ab.«
Paula sprang noch einmal unter die Dusche, weil sie völlig durchgeschwitzt war. Das kalte Wasser tat ihr gut und weckte ihre Lebensgeister. Als Tweed mit Newman zurückkam, war sie fast fertig. Sie ließ die beiden ins Zimmer und schlüpfte rasch in eine warme Jacke. Es war sieben Uhr morgens. Draußen war es noch dunkel und bestimmt sehr kalt.
»Na, haben Sie sich schon von Ihrem Albtraum erholt?«, fragte Newman.
»Ja. Wir können los.«
»Nehmen Sie Ihre Taschenlampe mit«, sagte Tweed.
»Ja, und meine kleine Kamera sollte ich auch nicht vergessen«, fügte Paula hinzu.
Als sie das Hotel verließen, war noch kein Mensch auf den Beinen. Newman, der sich nach dem Weg erkundigt hatte, ging voran. Nachdem sie die Grand-Rue überquert hatten und eine steile Treppe zur Uferpromenade hinunterstiegen, wehte ihnen ein bitterkalter Wind entgegen. Rechts und links der Treppe lag noch orange und blutrot das Herbstlaub, und vor sich sahen sie eine Absperrung der Polizei, hinter der sich viele Schaulustige drängten - Männer und Frauen in Morgenmänteln oder in Trenchcoats mit dicken Schals. Starke Scheinwerfer beleuchteten ein Stück des Seeufers, und überall waren Fernsehkameras aufgebaut. Offenbar hatten die Medien die Neuigkeit in Windeseile mitbekommen. Drei uniformierte Polizisten versperrten Tweed und den anderen den Weg und wollten
sie nicht durchlassen. Zum Glück tauchte kurz darauf Arthur Beck auf.
»Lassen Sie die drei passieren«, befahl er auf Französisch.
Als sich Paula dem Seeufer näherte, konnte sie durch das gedämpfte Gemurmel der Schaulustigen die Wellen an die Kaimauer klatschen hören. Der Sturm hatte sich tatsächlich gelegt, und die Wellen waren viel kleiner als am vergangenen Abend.
Wie immer hatte Beck alles bewundernswert gut organisiert.
Paula sah, wie direkt am Kai ein großer Lastwagen mit einem Kran auf der Ladefläche stand und gerade eine Bahre hinab aufs Wasser ließ. Die Leiche trieb offensichtlich immer noch neben dem pic-bot, einem merkwürdigen, plumpen Kahn mit schräg nach innen abfallenden Bordwänden. Seine aus zwei Mann bestehende Besatzung hockte am einen Ende und rauchte. Ihr Werkzeug lag neben ihnen auf dem Boden des Bootes. Es bestand aus einem Rechen mit langem Stiel, mit dem sie auf dem Wasser treibenden Abfall ans Boot zogen, um ihn dann mit
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