Die Klinge
Die Presse wird verrückt spielen, und die grausigen Details der beiden Morde werden ein Übriges tun, um die Panik in der Bevölkerung noch zu verstärken. Zeitzler wird wahrscheinlich die ganze Nacht lang an seiner zweiten Autopsie arbeiten. Wir haben ja Gott sei Dank alle Daten, Röntgenfilme und Fotos der anderen Leichen parat, um sie mit seinen Ergebnissen zu vergleichen. Ich werde Sie wissen lassen, zu welchem Ergebnis wir kommen, Tweed. Jetzt muss ich aber wieder los.«
Beck war kaum fort, als Marler hereinkam und aus seinem Mantel schlüpfte.
»Haben Sie sich draußen ein bisschen umsehen können?«, fragte Tweed.
»Ja, und ich habe interessante Dinge erfahren.« Marler lehnte sich an die Wand und zündete sich die obligatorische Zigarette an. »Wussten Sie eigentlich, dass Sam Snyder hier in Zürich ist?«
»Nein, das wussten wir nicht«, erwiderte Tweed.
»Schon komisch, dass er ausgerechnet immer dort auftaucht, wo jemand bestialisch ermordet wird«, sagte Paula.
»Snyder wohnt in einem Hotel in der Bahnhofstraße«, fuhr Marler fort. »Im Baur en Ville. Ich habe in die Hotelbar geschaut und ihn dort am Tresen stehen sehen.«
»Haben Sie ihn gefragt, was zum Teufel er hier in Zürich zu suchen hat?«, wollte Newman wissen.
»Nicht mit diesen Worten«, sagte Marler lachend. »Dann hätte er mir bestimmt nichts erzählt. Ich habe ihm lieber einen Drink spendiert und meine Ohren aufgesperrt. Snyder ist hinter der Familie Arbogast her. Er hat sich Sophie und Black Jack an die Fersen geheftet und ist im selben Flugzeug wie sie nach Zürich geflogen.«
»Der Anblick der armen Elena Brucan auf dem Boot hätte ihm bestimmt sehr gefallen«, sagte Paula mit Zorn in der Stimme.
»Was hatte Snyder denn an, als Sie ihn dort antrafen?«, wollte Tweed von Marler wissen.
»Er trug einen pelzgefütterten Mantel, als wäre er gerade von draußen hereingekommen. Und unter der Theke stand seine lederne Kameratasche.«
»Vielleicht hat er ja Fotos gemacht«, sagte Newman. »Er hätte leicht aus der anderen Richtung auf die kleine Promenade an der Sihl kommen können. Vom Baur en Ville bis dort ist es nur ein Katzensprung.«
»Wer weiß, ob er in seiner Ledertasche wirklich nur seine Kamera transportiert«, sagte Paula düster.
»Jetzt könnte Paula wohl doch zur Abwechslung einen kleinen Brandy vertragen«, sagte Tweed, um das Thema zu wechseln. »Wären Sie vielleicht so freundlich, Bob? Und Sie verraten mir jetzt endlich, was Marienetta Ihnen beim Tee erzählt hat, Paula.«
Paula, die ein exzellentes Gedächtnis hatte, gab beinahe wortwörtlich sowohl Marienettas als auch ihre eigenen Äußerungen wieder. Und sie vergaß auch nicht den kurzen Wortwechsel zwischen Marienetta und Russell Straub zu erwähnen, als dieser an ihnen vorübergegangen
war. Tweed hörte gebannt zu, ohne sie eine Sekunde aus den Augen zu lassen. Paula trank einen letzten Schluck von ihrem Brandy und machte eine abschließende Handbewegung.
»Tja, das wär’s. Ich glaube nicht, dass ich etwas ausgelassen habe.«
»Dann war Straub also richtig wütend, als sie ihn ›Vetter‹ nannte?«, vergewisserte sich Tweed.
»Er sah aus, als würde er sie am liebsten umbringen.«
»Und Marienetta hat seine Exfrau zitiert, die ihn einen Fanatiker genannt hat? War das der Ausdruck, den sie benutzt hat?«
»Exakt der. Marienetta hat es mir auf Nachfrage bestätigt.«
»Eine Ehefrau muss es ja wissen, auch wenn sie kurz davor steht, sich von ihrem Mann zu trennen. Das Ganze wirft ein interessantes Licht auf Russell Straubs Machenschaften.«
»Das sagt doch überhaupt nichts«, warf Newman abschätzig ein. »Kein Politiker, der viel Geld hat und über den nötigen Propagandaapparat in der eigenen Partei verfügt, ist zimperlich in der Wahl seiner Methoden, wenn es darum geht, Präsident zu werden.«
»Mich macht trotzdem stutzig, dass die eigene Frau ihn als Fanatiker bezeichnet hat«, sagte Marler.
»Ich finde, wir haben uns noch nicht genügend Gedanken über die Axt gemacht«, sagte Paula. »Die Tatwaffe. Wenn drüben in Maine dieselbe Axt verwendet wurde wie hier in Europa - und danach sieht es wohl aus -, dann stellt sich doch die Frage, wie sie transportiert wurde.«
»Zum Beispiel in einem Koffer, den der Mörder als Gepäck eingecheckt hat«, sagte Newman. »Wenn er sie in Alufolie einschlägt, ist sie auf dem Röntgenschirm nicht sichtbar.«
»Aber was ist, wenn der Mörder den Koffer beim Zoll öffnen muss?«, wandte Paula ein.
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