Die Klinge
mitzufliegen. Das kam mir ziemlich verdächtig vor.«
Auf einmal kicherte sie so laut und albern wie ein Schulmädchen los. Paula fand diesen plötzlichen Verhaltenswechsel sehr seltsam. Sophie hatte kurz zuvor einen so reifen und beherrschten Eindruck erweckt.
»Das ist der Alkohol«, erklärte Sophie, die plötzlich wieder völlig normal zu sein schien. »Damit sehe ich das Leben durch eine rosarote Brille und muss über alles Mögliche lachen. Es war so komisch, wie Marienetta quer über das Rollfeld zum Gulfstream-Jet gerannt ist. Während des Flugs hat sie mir dann in höchsten Tönen von diesem Psychiater vorgeschwärmt.«
»Sind Sie eigentlich schon viel in den Vereinigten Staaten herumgekommen?«, fragte Paula beiläufig.
»Ich war mal mit Black Jack in New York. Das ist auch ein komischer Heiliger. Dessen Launen sollten Sie mal erleben.«
»Wie äußern sich seine Launen denn?«, fragte Paula.
»Er dreht völlig durch und ist zu allem fähig, sogar in der Öffentlichkeit. Einmal waren wir in einem Club in New York, und da ist er auf einen Tisch gesprungen und hat wie wild zu tanzen angefangen. Eine äußerst attraktive Frau ist stehen geblieben und hat ihm zugesehen, und er hat sie zu sich auf den Tisch gezerrt. Dabei ist ein Schulterträger an ihrem Kleid gerissen. Erst war sie wütend, aber dann hat es ihr offensichtlich gefallen, wie er aus Leibeskräften gegrölt und ›America the Beautiful‹ gesungen hat. Black Jack hat eine gute Stimme. Wenn die anderen Gäste nicht mitgesungen hätten, hätte man ihn bestimmt aus dem Lokal geworfen, aber irgendwann hat selbst der Wirt mitgemacht. Black Jack ist wirklich ein ganz spezieller Typ.«
»Das glaube ich Ihnen gern.« Paula sah auf die Uhr. »Es hat mich sehr gefreut, mit Ihnen zu plaudern, aber ich muss jetzt hinauf, um mich zum Abendessen umzuziehen.«
Bevor sie in den Lift stieg, drehte sie sich noch einmal um. Sophie kicherte und gab dem Kellner mit ihrem leeren Glas ein Zeichen, es ein weiteres Mal zu füllen.
Der Anruf erfolgte vom Telefon der Kellerbar Vigliano aus, die unweit des Baur au Lac in einer Seitenstraße der Bahnhofstraße lag und aus mehreren Räumen mit dicken Steinmauern und gewölbte Decken bestand.
Am anderen Ende der Leitung befand sich ein gewisser Luigi Morati, der nicht unbedingt zu den Leuten zählte, mit denen man gern näheren Umgang pflegte. Als sein Telefon klingelte, meldete er sich mit misstrauischer Zurückhaltung.
»Si?«
»Spreche ich mit Luigi Morati?«
Die Stimme klang merkwürdig verzerrt, und Luigi konnte nicht erkennen, ob es die einer Frau oder die eines Mannes war. Sofort begriff er, dass der Anrufer einen Stimmenmodulator verwendete.
»Schon möglich«, antwortete er auf Englisch. »Worum geht es denn?«
»Es geht um hunderttausend Dollar.«
Jetzt hörte Morati gespannt zu, gab sich aber immer noch nicht zu erkennen. Ohne eine gewisse Vorsicht wurde man in seinem Gewerbe nicht alt.
»Woher haben Sie meinen Namen?«
»Das darf ich Ihnen nicht sagen. Sind Sie interessiert oder nicht?«
Die Stimme klang plötzlich schärfer, ungeduldiger, so als wollte der Anrufer jeden Moment den Hörer auf die Gabel knallen. Luigi holte tief Luft.
»Was muss ich für diese hunderttausend Dollar tun?«
»Jemanden töten. Und zwar innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden.«
»Ich brauche Einzelheiten, eine Beschreibung der betreffenden Person, wo ich sie finde …«
»Immer mit der Ruhe! Die Frau heißt Paula Grey und wohnt im Hotel Baur au Lac. Kennen Sie die Bar Vigliano? Dort habe ich hinter dem Telefon einen Umschlag deponiert. Wie lange brauchen Sie, bis Sie dort sind?«
»Fünf Minuten.«
»In dem Umschlag befinden sich ein Foto von Paula Grey und die hunderttausend Dollar in gebrauchten Scheinen. Aber ich warne Sie. Wenn Sie das Geld nehmen und den Job nicht erledigen, sind Sie ein toter Mann.«
»Wie reden Sie eigentlich mit mir! Ich bin ein Profi und erledige meine Arbeit zuverlässig. Schließlich lebe ich von meinem guten Ruf. Ich bin schon unterwegs.«
22
Es war spät in der Nacht, und Zürich schlief bereits, als Broden im bis oben zugeknöpften Mantel mit einem Koffer in der Hand die menschenleere Bahnhofstraße entlangging. Eine dunkle Wollmütze verbarg sein militärisch kurz geschnittenes Haar, der hochgeschlagene Mantelkragen den unteren Teil seines Gesichts.
Broden bog in die Seitenstraße ein, die zur Schweizer Niederlassung von ACTIL führte, und sah sofort, dass am Ende
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