Die Klinge
Tweed.
»Wir haben uns mal in Zürich umgesehen«, sagte Nield. »Es ist eine große Stadt, und für den Notfall ist es immer gut, wenn man sich auskennt. Ich habe mir die Altstadt jenseits der Limmat vorgenommen, Harry den diesseitigen Teil.«
»Und zwar auf dem Motorrad«, ergänzte Butler. »Ich habe mir eine gebrauchte Yamaha gekauft. Geht ab wie eine Rakete, das gute Ding. Ich kenne meinen Teil der Stadt jetzt so gut, dass Sie mich mit verbundenen Augen irgendwohin bringen können, und ich weiß sofort, wo ich bin.«
Newman sah auf die Uhr. »Es ist schon ziemlich spät. Ich bin müde. Zeit zum Schlafengehen. Wer weiß, was morgen wieder alles passieren wird.«
»Das weiß nur der liebe Gott. Schlafen Sie gut.«
Paula blieb noch bei Tweed, bis die anderen die Suite verlassen hatten.
»Ich würde gern noch etwas mit Ihnen besprechen«, sagte sie, aber da klingelte das Telefon. Tweed hob ab. Es war Monica. Da sie wusste, dass der Anruf über die Telefonanlage des Hotels ging, sprach sie mit sorgsam gewählten Worten. Tweed hörte aufmerksam zu, bedankte sich bei Monica und legte auf.
»Monica hat zwei weitere Arbogastini-Brüder ausfindig gemacht, die etwa zur selben Zeit, als Roman nach London ging und Vincenzo in die Staaten emigrierte, aus Italien ausgewandert sind. Ein gewisser Silvio ließ sich auch in London nieder und hat sich dort eine Frau genommen. Der andere, Mario, ging in die Staaten und hat ebenfalls geheiratet. Das bedeutet, dass es in England und Amerika möglicherweise noch weitere Arbogasts gibt. Aber Monica hat noch keine Namen.«
»Immerhin ein Fortschritt«, sagte Paula und sah Tweed nachdenklich an. »Aber Sie machen sich wegen etwas Sorgen, das sehe ich Ihnen an. Das ist selten bei Ihnen.«
»Wir sind jetzt von London über Maine nach Montreux und Zürich gereist, und überall, wo wir waren, haben sich diese Morde ereignet. Es kommt mir fast so vor, als könnte ich den Mörder sehen, und trotzdem hat er kein Gesicht.«
»Stimmt, das ist frustrierend«, sagte Paula. »Sie wissen ja, dass ich ein gutes Gespür dafür habe, wie jemand hinter seiner Maske, die er in der Öffentlichkeit trägt, wirklich ist. Heute Nachmittag war ich mit Newman spazieren und habe im Schaufenster einer Buchhandlung ein Buch von Abraham Seale entdeckt. Es heißt: Das Normale und das Abnormale. Ich habe es mir gekauft und ein bisschen hineingelesen. Es ist faszinierend. Ich würde mir gern einmal all die Leute vornehmen, die wir in diesem Fall bisher kennen gelernt haben, und mit ihnen unter vier Augen sprechen. Auch mit Sam Snyder. Aber ich will nicht, dass Newman mich dabei auf Schritt und Tritt bewacht. Ich weiß, dass er mich nur beschützen will, und ich bin ihm auch dankbar dafür. Aber bei diesen Gesprächen kann ich ihn nicht brauchen. Bitte, sagen Sie ja.«
»Ich weiß nicht so recht …«
»Aber ich habe doch jetzt wieder eine Waffe«, sagte Paula.
»Vielleicht haben Sie ja Recht. Also gut, legen Sie los.«
»Danke.«
Sie küsste Tweed auf beide Wangen und verließ die Suite. Sobald Tweed allein war, rief er Nield an. Er formulierte seinen Auftrag sorgfältig.
»Pete, Paula möchte morgen früh auf eigene Faust Nachforschungen anstellen und hat sich verbeten, dass Newman sie begleitet. Könnten Sie ihr vielleicht unbemerkt folgen? Aber Sie müssten es wirklich geschickt anstellen …«
»Kein Problem. Ich werde mich unsichtbar machen.«
In seiner kleinen Altstadtwohnung am anderen Ufer der Limmat reinigte Luigi Morati sorgfältig seine Pistole der Marke Glock, eine äußerst präzise und tödliche Waffe. Der Umschlag, den er nach dem mysteriösen Anruf aus der Kellerbar geholt hatte, lag geöffnet vor ihm auf dem Tisch.
Darin waren hunderttausend Dollar in gebrauchten Scheinen sowie ein Foto von Paula Grey, das er daneben gelegt hatte, um sich ihr Gesicht besser einprägen zu können. Sie war eine gut aussehende Frau, die er unter anderen Umständen gern näher kennen gelernt hätte.
In einem Spiegel an der Wand betrachtete Luigi sein Gesicht. Er hatte fettiges rotes Haar, kalte Augen und eine schiefe Nase, die er sich vor vielen Jahren bei einem Faustkampf gebrochen hatte. Seinen Gegner hatte es allerdings schlimmer erwischt, dem hatte Luigi den Schädel an einer Hauswand zerschmettert. Finito.
Luigi überlegte, ob er einen Schalldämpfer verwenden sollte, nahm dann aber Abstand von der Idee. Viel wichtiger war es, sich einen guten Fluchtweg zurechtzulegen. Diese überlebenswichtige
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