Die Klinge
wirklich nette Frau.«
»Kannten Sie sie?«
»Mrs. Brucan war nun mal sehr kontaktfreudig. Mich hat sie auf der Uferpromenade in Montreux angesprochen, kurz nachdem ich den armen Professor Seale fotografiert hatte. Gott hab ihn selig. Sie wollte wissen, ob ich Seale gekannt habe.«
»Und, haben Sie?«
»Nein.«
Paula war nicht entgangen, dass Snyder vor der Antwort kurz gezögert hatte. Er trank einen Schluck von seinem Kaffee und schaute sie aus dunklen Augen bohrend an. Die Frage schien ihm nicht gefallen zu haben, denn nun verzog er den Mund zu einem fiesen Grinsen. Jetzt ist es aus mit der Freundschaft, dachte Paula, aber sie ließ nicht locker.
»Haben Sie Elena Brucan auch fotografiert?«, fragte sie.
»Wer hat Sie geschickt, damit Sie mich aushorchen? Tweed? Newman?«
Snyder lehnte sich demonstrativ zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und musterte sie feindselig. Aus dem würde sie heute nichts mehr herausbekommen, das war ihr klar. Vor lauter Ärger stellte sie ihre Tasse so heftig auf den Tisch, dass ein paar Spritzer Kaffee herausschwappten.
»Mich hat niemand geschickt, weder Tweed noch Newman. Ich bin aus eigenem Antrieb gekommen. Ich bin keine
Marionette, die man nach Belieben manipulieren kann. Lassen Sie sich das gesagt sein.«
»Sieh mal einer an, da haben wir es ja mit einer richtigen Wildkatze zu tun. So was gefällt mir. Wieso kommen Sie nicht mit auf mein Zimmer? Dort können Sie mir ungestört Ihre Krallen zeigen.«
Er lächelte zwar, aber sein Blick war knallhart. Ein Meister der Verstellung war er nicht gerade. Paula gab der Bedienung ein Zeichen und zahlte.
»Sie werden mich doch jetzt nicht einfach so sitzen lassen, oder? Das hat sich noch keine Frau mit mir erlaubt.«
Sie sah Snyder lange und prüfend an, während hinter ihr der Mann im Kamelhaarmantel langsam die Treppe aus dem oberen Bereich herunterstieg und dabei ein Bein nachzog, als wäre er gehbehindert. Vor der Tür blieb Nield kurz stehen, klappte den Kragen des Mantels hoch und vergewisserte sich aus den Augenwinkeln, dass Paula wirklich am Gehen war.
»Es gibt immer ein erstes Mal«, konterte sie.
Snyders Lächeln verschwand schlagartig. Er stand auf, ballte die rechte Hand zur Faust und funkelte Paula aus seinen dunklen Augen böse an. Normal und abnormal, dachte sie. Nichts wie raus hier. Trotzdem hatte sie nicht das Gefühl, ihre Zeit verschwendet zu haben.
Als Paula aufstand, packte Snyder sie am rechten Arm. Sein Griff war erstaunlich fest, und sein Raubvogelgesicht rückte bedrohlich nahe an das ihre.
»Wenn Sie nicht sofort Ihre Hand von meinem Arm nehmen, rufe ich um Hilfe«, sagte sie gelassen.
»Entschuldigung. Ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten.« Sein Gesichtsausdruck war mit einem Mal wieder völlig normal, und sogar sein Lächeln schien echt zu sein. Er setzte sich wieder, als wollte er ihr beweisen, dass er es ernst meinte. »Damit Sie mir glauben, dass ich nicht Ihr Feind bin, möchte ich sie warnen. Mir sind Gerüchte zu
Ohren gekommen, dass Sie in großer Gefahr schweben. Man hat jemanden auf Sie angesetzt.«
»Tatsächlich? Wen denn?«
»Einen versierten Profi. Identität unbekannt.«
»Das kommt mir ziemlich unwahrscheinlich vor.«
Paula ging zur Tür, die sich dann automatisch vor ihr öffnete, und stieg vorsichtig die Stufen hinunter. Jetzt war sie in Sicherheit.
Luigi Morati hatte sein Motorrad auf der Mitte des Paradeplatzes abgestellt, wo es hinter den zahllosen Trambahnen, die anhielten und wieder weiterfuhren, gut verborgen war. Lässig lehnte er an der Maschine und rauchte eine Zigarette. Als er Paula die Treppe herunterkommen sah, ließ er die Kippe fallen. Er öffnete die rechte Packtasche und griff nach seiner Glock, die er dort schussbereit verstaut hatte. Ein kurzer Schuss aus dieser Entfernung, und sein Job war erledigt.
Der Streifenwagen, der zuvor etwas weiter unten in der Bahnhofstraße gestanden hatte, fuhr jetzt langsam in Richtung Paradeplatz und hielt dort am Bordstein an. Luigi fluchte. War es möglich, dass die Beamten ein Auge auf ihn geworfen hatten?
Vor Jahren war er in eine Polizeistation in Bern eingebrochen, als die gesamte Besatzung dort wegen eines Notrufs unterwegs gewesen war. Er hatte nicht lange gebraucht, um seine Akte zu finden und sie sich anzusehen. Man hatte ihm den Codenamen Kugel gegeben. Wahrscheinlich kam das daher, dass er immer traf. Fast hatte Luigi sich ein wenig geschmeichelt gefühlt. In der Akte hatten weder Name noch
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