Die Klingen der Rose: Ein unwiderstehlicher Schurke (German Edition)
neben sie. Im Licht der aufgehenden Sonne wirkte ihr Haar wie Karamell und ihre Haut wie rosiges Elfenbein. Als sie den Blick zu ihm hob, sah er, dass ihre Augen nicht einfach nur dunkelbraun waren, sondern ein Mosaik aus Schokoladen- und Bernsteintönen, in dem sich sogar goldene und grüne Sprenkel fanden.
»Wollen Sie der trauernden Witwe Ihre Aufwartung machen?«, fragte sie. Er widerstand dem Drang, mit bissigen Worten zurückzuschlagen, leicht fiel es ihm jedoch nicht. Er war es gewohnt, sich gegen Angriffe zu verteidigen – gegen körperliche jedenfalls.
»Ich lese Ihnen die Zukunft aus dem Kaffeesatz«, erbot sich Athene rasch. Sie trat zu ihnen und streckte ihr die Hand entgegen. »Trinken Sie aus.«
London trank den Rest ihres Kaffees in einem Zug, schüttelte sich, dann reichte sie Athene die leere Tasse. Die Hexe holte aus dem Aufbau eine Untertasse. Damit bedeckte sie die Tasse und reichte London beides.
»Sie müssen Teller und Tasse gegen den Uhrzeigersinn drehen«, erläuterte die Hexe das Prozedere. »Schließen Sie die Augen und konzentrieren Sie sich. Lassen Sie Ihre Gedanken einfach treiben.«
London schloss die Augen und folgte Athenes Anweisungen. Bennett beobachtete sie und fragte sich, wohin ihre Gedanken sie wohl tragen mochten. Er wünschte, er könnte sie lesen.
»Drehen Sie jetzt Tasse und Untertasse auf den Kopf«, instruierte Athene weiter. »Warten Sie einen Augenblick. Konzentrieren Sie sich. Vergessen Sie alles um sich herum.«
Gedanken und Gefühle zeichneten sich auf Londons Gesicht ab, und selbst schweigend strahlte sie eine Komplexität aus, die Bennett womöglich nie entschlüsseln würde. Er hob den Blick zu Athene und stellte fest, dass sie ihn reichlich mitleidig ansah. Seine Miene verfinsterte sich.
»Öffnen Sie die Augen und drehen Sie Tasse und Teller wieder herum«, sagte Athene. »Und jetzt nehmen Sie die Untertasse weg.«
Nachdem London auch das getan hatte, blickte sie wie auch Bennett in die Tasse: Der feste Kaffeesatz hatte auf dem weißen Porzellan Wirbel und Muster gebildet. Athene nahm London die Tasse ab und schaute aufmerksam hinein. Die Miene der Hexe drückte Verblüffung aus.
»Was sehen Sie?«, fragte London.
Auch Kallas beugte sich vom Steuerrad herüber, um Athenes Weissagung zu lauschen.
»Viele Verzweigungen wie im Geäst eines Baumes«, murmelte Athene. »Sie sind tief in ein kompliziertes Problem verstrickt. Die Zweige bilden eine Brücke. Das heißt, Ihnen steht eine schwierige Entscheidung bevor. Und ich sehe einen Mann. Er winkt sie zu sich. Er will Ihnen etwas Wichtiges geben, aber seine Hände sind leer.«
»Hat er mir nichts zu geben?«, fragte London.
Athene schüttelte den Kopf, sah Bennett direkt in die Augen und durchbohrte ihn mit ihrem Blick. »Er weiß es nur noch nicht.«
»Ist das eine Prophezeiung?«, fragte Bennett.
»So kann es kommen.«
»Und mit welcher Gewissheit wird es so kommen?«, hakte London nach.
»Gewiss ist nichts.«
London legte den Kopf in den Nacken und betrachtete den Himmel. Ihr von Sorge gezeichnetes schönes Gesicht rührte Bennett tief in seiner Brust. »Diese Lektion des Lebens lerne ich gerade«, sagte sie leise.
Er sehnte sich danach, sie zu berühren. Nur für einen Moment. Doch als er die Hand nach ihr ausstreckte, richtete sie sich auf und hüllte sich in den Mantel des Anstands. Er ließ die Hand sinken. Sie bemerkte die weißen Ränder, die das trocknende Salzwasser auf ihrem Rock hinterließ. »Gewiss ist eines – mein Rock ist ruiniert. Und ich habe nichts anderes zum Anziehen.« Es schien ihr einfacher, über ihre Kleidung nachzudenken, als darüber, wie sich die Verstrickungen ihres Lebens entwirren ließen.
»Sie können gern etwas von mir haben«, sagte Athene.
London nickte ihr dankbar zu. »Das ist nett von Ihnen. Aber ich kann Ihnen nichts dafür geben. Ich habe kein Geld.« Es schmerzte Bennett, als er sah, wie die Erkenntnis in ihr reifte und sie von tiefer Trostlosigkeit befallen wurde. »Ich habe … nichts mehr.«
Er versuchte ihr aus diesem Abgrund herauszuhelfen. »Die Klingen werden sich Ihrer annehmen. Wir werden Ihnen alles, was Sie brauchen, zur Verfügung stellen. Auch Kleidung.«
Ihr Kopf ruckte herum, ihr Blick packte ihn förmlich. Auf einmal wirkte sie nicht mehr verzweifelt, sondern nur noch wütend. »Auch Trauerkleidung?«
Ihre Worte trafen ihn ebenso hart, wenn nicht noch härter als der marokkanische Krummdolch, mit dem ihr Mann versucht hatte, ihn
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