Die Klingen der Rose: Ein unwiderstehlicher Schurke (German Edition)
ließ sich über die Reling auf das magisch verhüllte Boot helfen. Bennett beobachtete, wie sie im Schutz des Zaubers verschwand. Zuletzt baumelten nur noch ihre schlanken Fesseln über ihm in der Luft. Ach, wie er seine Arbeit liebte.
Die schwielige Hand von Nikos Kallas erschien, um Bennett an Bord zu hieven. Bennett zog sich an der Hand des Kapitäns nach oben und stieg ebenfalls über die Reling. Als er die Grenze von Athenes Schutzzauber passierte, spürte er ein Summen in Kopf und Körper. Und sobald er sich auf dem Boot befand, sah er das Kaik ebenso, wie er London, Athene und Kallas an Deck sah. Athene war blass; der Zauber, den sie so lange aufrechterhalten musste, zehrte an ihren Kräften.
»Können Sie segeln?«, fragte Kallas.
»Nicht besonders gut«, antwortete Bennett. Er blickte sich um. »Haben wir unsere Besatzung verloren?«
»Nachdem du weg warst, sind sie zu den Franzosen auf die Insel geflohen«, erklärte Athene.
Kallas spuckte über die Reling. »Feiglinge. Können noch nicht einmal ein bisschen Kanonenfeuer vertragen. Wenn die mir je wieder unter die Augen kommen, ziehe ich ihnen das Fell über die Ohren und mache Segel daraus. Aber jetzt müssen eben Sie und die Frauen als Besatzung einspringen.« Er deutete mit finsterem Blick auf Athene. »Oder sind Ihre feinen Hände zu zart, um eine Leine zu halten?«
Stolz antwortete Athene: »Ich scheue mich nicht vor harter Arbeit.«
»Gut, dann machen Sie zum Ablegen bereit«, befahl Kallas. »Day, hissen Sie das Hauptsegel. Holen Sie es dicht. Dann zieh ich das Focksegel auf.«
»Sagen Sie mir, was ich tun kann«, sagte London und trat vor.
»Wenn ich es Ihnen sage, hissen Sie den Klüver, aber nur locker«, erwiderte Kallas und deutete auf das vorderste Segel. Sie machte sich augenblicklich bereit. Bennett hisste das Hauptsegel und schüttelte leise verwundert den Kopf. Da stand sie zusammen mit dem Mann, der ihren Gatten umgebracht hatte, auf einem Boot und floh vor ihrer Familie und dem einzigen Leben, das sie kannte. Alles im Namen einer guten Sache. Zum Einsatz bereit wartete sie auf Kallas’ Zeichen.
Als vom Strand her donnernd die Stimme ihres Vaters ertönte, drehte sie sich um. »Verdammt, wo sind sie denn?«, fuhr er die anderen Männer an. »Eben waren sie doch noch da! Day hat meine Tochter entführt, ihr Idioten! Ich will sie wiederhaben!«
Mit kummervollem Blick sah sie zu Bennett herüber. Er wollte gerade zu ihr gehen, hielt jedoch inne, als sie sich fasste und sich wieder ihrer Aufgabe widmete. Edgeworth wusste nicht, dass seine Tochter freiwillig die Seiten gewechselt hatte, würde es jedoch erfahren, sobald Fraser wieder zu sich kam. Obwohl das Boot gerade einmal fünfzig Fuß von ihnen entfernt lag, konnten Edgeworth und seine Mannen es nicht sehen. Jedenfalls nicht so lange Athenes Zauber hielt.
Vor Anstrengung keuchend tauchte Chernock neben Edgeworth auf. Der Zauberer spähte in die Dunkelheit, dann lächelte er kühl. Er hob einen Stein auf, murmelte etwas und warf ihn mit voller Wucht in Richtung des Bootes. Mit einem dumpfen Laut traf der Stein den Rumpf des Kaiks. Als hätte sie selbst einen Schlag eingesteckt, schrie Athene auf. Kallas sprang ihr bei und stützte sie, als sie aufs Deck niedersank. Die Luft summte, und das Kaik schimmerte durch den Nebel.
»Da!«, triumphierte Chernock. »Einfachste Schulmädchenmagie.«
Er hatte Athenes Zauber gebrochen. Nun waren sie sichtbar. Schüsse hallten durch die Nacht, Holzsplitter von Mast und Reling flogen durch die Luft. Bennett stürzte zu London, packte sie und warf sich schützend über sie.
»Bringen Sie uns bloß hier weg!«, verlangte Athene keuchend von Kallas, der neben ihr kauerte.
Er riss sich los und holte den Anker ein. Dann rannte er auch schon ans Steuer. »Kümmern Sie sich um den Klüver!«, schrie er Bennett zu.
Bennett löste sich von London und packte die Segelleine. Sie rollte zur Seite, als wollte sie seiner Hand entfliehen. Der Wind fing sich in den losen Segeln und trieb das Kaik aufs Meer hinaus. Eine Kugel durchschlug das Focksegel.
»Passt doch auf, ihr Blödmänner!«, schrie Edgeworth. »Irgendwo auf diesem Kahn ist meine Tochter!«
Der Beschuss ließ nach und verstummte schließlich ganz. Bennett zog mit aller Kraft an den Leinen, um die Segel zu sichern, und sah, wie London hochkam und sich ihrem Vater zeigte. Sie stand an der Reling, umklammerte den hölzernen Handlauf und blickte ernst zum Ufer hinüber.
»London!«
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